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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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einmal an seiner engsten Stelle das andere Ufer sehen konnte, genügte, mich, den Eingeborenen eines
    landumschlossenen Tals, mit Ehrfurcht zu erfüllen.
    Constantia ist nicht so groß wie Vesontio. Auch liegt es nicht auf einem Hügel und besitzt keine große Kathedrale, der einzige Ausblick ist der auf den melancholischen
    Brigantinus. Aber ansonsten erinnert es sehr an Vesontio: eine Stadt am Wasser, ein Kreuzungspunkt von Verkehr und Handel. Die meisten der ständigen Bewohner stammen von den Helvetiern ab, einst ein umherziehendes, kriegerisches Volk, das aber schon vor langer Zeit seßhaft wurde, das römische Bürgerrecht erhielt, und dessen Nachfahren jetzt friedlich ihren Wohlstand mehrten, indem sie die Bedürfnisse der heutigen Nomaden - Kaufleute, Fuhrleute, Händler, Missionare, sogar Armeen fremder Nationen, die den Krieg hierhin und dorthin trugen - erfüllten. Es wurde gesagt, daß die Helvetier, indem sie der Neutralität einen Beruf machten, mehr an den Kriegen verdienten als die Sieger.
    Da Constantia Kreuzungspunkt so vieler römischer
    Heerstraßen ist, sind die helvetischen Bewohner gegenüber den durchreisenden Besuchern, die aus allen Ecken und
    Enden des römischen Reiches kommen, deutlich in der
    Unterzahl. Und die Bürger der Stadt scheinen sämtliche Sprachen des Reiches gelernt zu haben.
    Während der nächsten Tage zog Wyrd durch Constantia,
    mit einem Käufer nach dem anderen schachernd, um den
    bestmöglichen Preis für unsere Pelze und das Kastoröl
    herauszuschlagen. Ich, noch ein Novize in der Kunst, die Qualität und den Wert solcher Dinge einzuschätzen, und noch weniger bewanden in der Kunst des Handelns und
    Verhandeins mit erfahrenen Kaufleuten, konnte Wvrd dabei nicht helfen. Also wanderte ich alleine durch Constantia und erforschte die Stadt.
    Schon bald erfuhr ich aus dem, was auf den Plätzen
    geredet wurde, daß die Bürger sich in einer Art Aufruhr befanden. Wyrd und ich hatten davon in den Badehäusern und Tavernen oder in unserer Herberge bisher noch nichts gehört, vor allem wohl, weil es zeitweilige Gäste wie uns und andere durchreisende Besucher nicht betraf. Aber die
    helvetischen Bürger der Stadt regten sich so sehr sich die gleichmütigen Helvetier eben aufregen konnten wegen der Wahl eines neuen Priesters für die Basilika des Heiligen Beatus auf. Der bisherige Priester war vor kurzem gestorben (an zuviel Bier wie die Gerüchte gingen). Die Aufgabe, einen neuen Priester zu wählen, hatte das Stadtvolk ganz in
    seinen Bann geschlagen. Ich war, wie immer, neugierig.
    Wann immer ich also Leute in einer Sprache, die ich
    verstand, über dieses Thema sprechen hörte, blieb ich in der Nähe und hörte zu.
    »Ich werde Tigurinex nominieren«, sagte einer aus einer Gruppe von mittelalten Männern, die alle äußerst
    wohlhabend und gutgenährt aussahen und ausnahmslos
    Latein sprachen: »Caius Tigurinex juckt es schon seit
    langem, mehr als nur ein erfolgreicher und sparsamer
    Kaufmann zu sein.«
    »Eine gute Wahl«, sagte ein anderer. »Tigurinex besitzt mehr Geschäfte und Lagerhäuser und er beschäftigt mehr Gemeine und kauft mehr Sklaven als irgendein anderer
    Händler der Stadt.«
    »Man hört Gerüchte vom anderen Ende des Sees«, sagte
    ein dritter Mann, »daß auch Brigantinum in Bälde einen neuen Priester nötig haben wird. Angenommen, sie wählen Tigurinex?«
    »So unwichtig diese Stadt auch ist«, sagte ein vierter,
    »trotzdem würde Tigurinex dann bestimmt alle seine
    Besitztümer nach Brigantium übertragen - bei Christo! Er würde sie in die Hölle bringen - wenn man ihm dort ein Priesteramt anbieten würde.«
    »Eheu! Wir müssen ihn hierhalten.«
    »Bietet Tigurinex die Stola an.«
    Meine Neugier trieb mich in die Basilika des Heiligen
    Beatus. Ich wollte sehen, wie der Kaufmann Tigurinex zum Priester geweiht wurde. Wie die Männer, die ich über ihn hatte reden hören, war er mittleren Alters, von ansehnlichem Körperumfang und glatzköpfig; er würde sich keine Tonsur rasieren müssen. Auch trug er keinen Bart, und sein Gesicht war anscheinend gepudert, damit seine Haut, von Natur aus ölig wie die eines Syrers, weniger glänzte.
    Ohne zu stottern oder linkisch mit den Füßen zu scharren -
    nicht einmal ein mäßiges Zucken des Kopfes war feststellbar
    - verkündete er mit einer so sicheren Stimme die Annahme der Priesterschaft, als sei diese Ehre selbstverständlich und längst überfällig. Aber nicht einmal an diesem Tag hatte sich Tigurinex

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