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Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Wir verbrachten fast seine ganze freie Zeit miteinander. Wir vergnügten uns häufig mit den typischen Streichen junger Burschen (obwohl ich erwartet hatte, daß Gudinand, angesichts seines Alters, solche
    Spielereien als unter seiner Würde betrachten würde). Wir stibitzten Früchte von dem Karren eines Straßenhändlers und rannten ohne zu zahlen davon. Oder wir banden eine Schnur an einen Pfosten und versteckten uns auf der
    anderen Straßenseite, bis irgendein pompös ausschauender Mann des Weges kam. Dann spannten wir die Schnur an,
    um ihn in höchst belustigenden Verrenkungen hinfallen zu sehen. Solche Dinge eben. Wir unternahmen aber auch
    weniger schelmenhafte Aktivitäten. Wir veranstalteten
    Wettrennen gegeneinander, kletterten um die Wette auf
    Bäume oder rangen miteinander. Hin und wieder borgte
    Gudinand ein Tomus, mit dem wir zum Fischen auf den See hinausfuhren.
    Während Wyrd noch in Constantia war und unsere Pelze
    verkaufte - gegen einen sehr guten Preis, von dem er mir eine ausreichende Menge für den täglichen Bedarf gab (den Rest meines Verdienstes verwahrte er in einem sicheren Versteck) - traf er Gudinand ein- oder zweimal und war anscheinend darüber erfreut, daß ich einen neuen Freund gefunden hatte.
    Nachdem ich Gudinand Wyrd vorgestellt hatte, sagte
    Gudinand zu mir: »Er sieht zu alt aus, um dein Vater zu sein.
    Ist er dein Großvater?«
    »Wir sind überhaupt nicht verwandt«, antwortete ich. Und dann, da ich Gudinands Hochachtung für mich nicht durch das Eingeständnis mindern wollte, daß ich nichts weiter als der Lehrling eines Meisters war, log ich: »Ich bin sein Schützling. Wyrd ist mein Beschützer« - gerade so, als wäre ich der umsorgte Sprößling einer vornehmen Familie.
    Gudinand fragte sich bestimmt, wovor ich beschützt
    werden mußte und warum ein adliger Sproß einem
    ungehobelten Waldbewohner zum Schütze anbefohlen
    wurde, aber er fragte nicht nach.
    Als Wyrd unsere Geschäfte in Constantia abgeschlossen
    hatte wir konnten uns bis zum Herbst nicht wieder auf die Pelzjagd begeben -, verbrachte er den Rest des Sommers damit, durch die Gegend zu reiten und bei alten Freunden aus Soldatenzeiten vorbeizuschauen, etwa im befestigten Lager Arbor Felix, in der Bergstadt Brigantium und in der Inselgarnison Castrum Tiberii. Ich legte keinen allzu großen Wert darauf, den Sommer damit zu vertun, mit Wyrd und
    seinen alten Freunden zu trinken und mir ihre endlosen Geschichten aus der Vergangenheit anzuhören. Ich blieb lieber in Constantia und traf mich so oft wie möglich mit Gudinand.
    Mit ihm konnte ich nach Herzenslust umherstreifen,
    herumtollen und Streiche aushecken. Unternehmungen, die mir viel Spaß machten - noch nie zuvor hatte ich einen mir so entsprechenden Freund gehabt. Aber es gab Dinge an
    Gudinand, die mich verwirrten. Hier war er, ein junger Mann, achtzehn oder neunzehn Jahre alt, groß, gut gebaut,
    intelligent und fast immer gut gelaunt - aber bis ich
    auftauchte schien er nicht einen einzigen Freund zu besitzen, egal ob männlich oder weiblich. Ich wußte, daß er ein Einzelkind war und in mir vielleicht so etwas wie einen Bruderersatz sah. Aber ich konnte nicht feststellen, ob er es war, der seine Altersgenossen mied, oder ob umgekehrt sie ihn mieden. Alles, was ich wußte, war, daß ich ihn niemals in Gesellschaft von jemand anderem sah und daß sich an
    unseren Spielen und Tollereien niemals ein anderes Kind beteiligte.
    Außerdem machte Gudinand, vor dem ich feige meinen
    Status als einfacher Lehrling verborgen hatte, kein
    Geheimnis aus dem, was er war. Auf der sozialen Leiter stand er sogar noch unter nur, denn er verrichtete die übelste und dreckigste Arbeit in einer der Gerbereien der Stadt. Seit fünf Jahren arbeitete er als Lehrling im Hof jener Gerberei, wo die neu eingekauften Felle »geledert«, - das heißt in eine Grube getaucht wurden, die mit Urin,
    angereichert mit verschiedenen Mineralsalzen und anderen Substanzen, gefüllt war. In dieser Brühe mußten die Felle eingeweicht, bewegt, gepresst, ausgewrungen und wieder eingeweicht werden.
    Gudinands Aufgabe: den ganzen Tag bis zum Hals in
    dieser Grube voll abgestandenem Urin, anderer stinkender Substanzen und noch übler stinkender unbearbeiteter Felle stehen, sie mit den Füßen treten und kneten und ein Fell nach dem anderen mit den Händen auswringen. Nach der
    Arbeit verbrachte Gudinand immer lange Zeit in einer der billigeren Thermen der Stadt oder seifte sich mehrmals im See ab,

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