Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Greif

Der Greif

Titel: Der Greif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
Schößlinge in dem Wäldchen brach ich einen Zweig, kniete neben Gudinand, seinen abscheulichen Gestank und
    Anblick tapfer ertragend, nieder und schob den Zweig
    zwischen Oberkiefer und Zunge, so daß er sie nicht
    abbeißen konnte. Aus der Gürteltasche, in der ich meine Mahlzeit verstaut hatte, nahm ich ein Tütchen voll Salz und streute es in der Hoffnung, daß etwas davon in seinen Hals gelangen würde, auf seine weit herausgestreckte Zunge. Ich hatte an meinem Gürtel einen Dolch, den ich jetzt aus der Scheide zog. Die Klinge klemmte ich unter einen von
    Gudinands verkrampften Daumen, so daß er sie gegen
    seinen Handteller drückte. Bruder Hormisdas hatte gesagt:
    »Lege ein kaltes Metall in die Hand des Opfers.« Die Klinge war zwar kaum kalt, aber es war das einzige Stück Metall, das ich bei mir hatte. Zuletzt beugte ich mich über ihn, atmete dabei so gut es ging nur durch den Mund, um
    Gudinands Geruch aus der Nase zu bekommen, preßte
    meine Hände auf seinen Bauch und hielt den Druck
    aufrecht. Diese Hilfestellungen würden, so hatte der
    heilkundige Bruder versichert, den Anfall schneller und weniger intensiv verlaufen lassen.
    Ob sie das taten oder nicht weiß ich nicht, denn es kam mir so vor, als verharrte ich eine Ewigkeit über Gudinands Bauch gebeugt. Endlich, und so plötzlich, wie er den Schrei der Eule erwähnt hatte, entspannten sich seine verhärteten Bauchmuskeln unter meinen Händen. Das Zucken seiner
    Gliedmaßen hörte auf, seine Zunge zog sich wieder zurück und der Zweig fiel zu Boden. Seine Gesichtszüge waren
    wieder die des Gudinand, den ich kannte. Dann lag er
    einfach da, und sein Brustkorb hob und senkte sich so
    heftig, als wäre er gerade nach einem langen Wettrennen zusammengebrochen. Ich riß ein Büschel Gras aus und
    wischte den Speichel, der über sein Gesicht und seinen Hals lief, weg. Wegen der anderen Exkremente konnte ich nichts tun, denn sie waren unter seiner Kleidung. Eher dankbar zog ich mich ein Stück zurück, setzte mich gegen einen Baum gelehnt hin und wartete.
    Langsam ließ sein rasender Atem nach. Einige Zeit später öffnete er die Augen und schaute sich um, ohne seinen Kopf zu bewegen. Offensichtlich versuchte er herauszufinden, wo er war und wie er dahin gekommen war. Dann richtete er sich vorsichtig in eine sitzende Stellung auf und drehte seinen Kopf, um sich besser orientieren zu können. Als er mich in einiger Entfernung von ihm erblickte, tat er etwas, was mich sehr erstaunte. Ich hatte erwartet, daß seine Gesichtszüge Scham oder Schmerz darüber zeigen würden, daß ich seinen Anfall miterlebt hatte. Stattdessen grinste er mich breit an und rief so lebhaft, als sei unsere ursprüngliche Unterhaltung durch nichts unterbrochen worden:
    »Nun, wollen wir jetzt die Juden ärgern? Oder einfach den ganzen Tag faul herumliegen?«
    Wie bereits gesagt, ich hatte mich früher oft gefragt, ob er diese Vorfälle vergaß oder bloß vorzog, so zu tun, als habe er es vergessen. Jetzt wurde mir klar, daß er wirklich keine Erinnerung an das hatte, was geschehen war. Denn es war ganz offensichtlich, daß Gudinand sich überhaupt nicht daran erinnerte, daß er eine nichtexistierende Eule erwähnt hatte, einen Schrei ausgestoßen hatte und davongerannt war, oder daß er hier in diesem Wäldchen eine Agonie
    durchgemacht hatte - oder wieviel Zeit vergangen war, seit einer von uns zuletzt über irgendwelche Streiche
    gesprochen hatte. Ich blieb sitzen, wo ich war, und starrte ihn ungläubig an.
    Er stand umständlich auf, um zu mir herüberzukommen;
    seine Muskeln mußten von der eben erst durchgemachten
    Anstrengung noch schmerzen. Aber kaum war er
    aufgestanden, als ihm der Gestank, der von ihm ausging, in die Nase stieg. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen. Sein Gesicht verzerrte sich vor Scham und Selbstverachtung, und
    - beinahe heulend - schloß er krampfhaft seine Augen und schüttelte in größter Verzweiflung den Kopf. »Leb wohl, du hast es gesehen. Ich gehe mich waschen.« Mit diesen
    Worten stakste er Richtung See davon, wobei er darauf
    achtete, einen gehörigen Abstand von mir zu halten.
    Als er zurückkehrte, trug er nur seinen tropfnassen
    Lendenschurz, den Rest seiner gleichermaßen nassen
    Kleidung hielt er in den Armen. Als er mich erblickte, sah er ehrlich überrascht aus.
    »Thorn! Du bist nicht weggegangen?«
    »Ne. Warum sollte ich?«
    »Außer meiner alten Mutter hat jeder, der von meiner..., von mir erfahren hat, mich verlassen und ist

Weitere Kostenlose Bücher