Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Pferde waren nur eine Belastung, wenn – falls – sich die Greifen herabstürzten, und alle wussten das.
Es war ein schöner Nachmittag, wenn auch untypisch warm für die Jahreszeit. Trotzdem wirkte alles viel grimmiger, wenn man in Gesellschaft von vierhundert Mann marschierte, die alle glaubten, es ginge in die Schlacht. Die Männer vertrauten Aben Annachudran: Gerent sah, welche Blicke sie auf den Gelehrten warfen, und konnte daraus schließen, dass alle ihn kannten – oder zumindest von ihm gewusst hatten – und dass sie froh waren, von ihm geführt zu werden. Gerent hätte gar nicht erwartet, dass Annachudran so bekannt war. Er erinnerte sich daran, wie der Gelehrte einmal gesagt hatte: Es war so unbequem, jedes Mal hinab nach Taschan zu gehen, wenn wir hier in der Gegend einen Richter brauchten. Alle hier scheinen lieber einfach zu mir zu kommen. Gerent hatte damals noch nicht ganz verstanden, wie umfassend dieses »alle hier« zu verstehen war.
Und sie vertrauten Beguchren. Nicht in der Weise, wie sie Annachudran vertrauten, aber sie setzten ihre Zuversicht in seine Macht und Fähigkeit. Gerent nahm an, dass die meisten Offiziere die Vermutung hegten, Beguchren wollte ihre Truppe opfern – jeder, der kein Dummkopf war, musste so etwas zumindest in Erwägung ziehen. Annachudran hatte sie jedoch immerhin davon überzeugt, dass der Magier dafür einen guten Grund hatte. Und so marschierten sie mit einem Ziel vor Augen und mit Vertrauen.
Eine liebliche Brise kam aus dem Süden über die Hügel und duftete angenehm nach herbstlichem Gras. Die Sonne stand tief im Westen, aber ihr Licht war recht normal und ihre Wärme nicht stärker als an einem freundlichen Nachmittag. Die Hügel waren vielleicht trocken und golden vom zu früh eingetretenen Herbst, der ihnen von der anrückenden Greifenwüste aufgezwungen wurde, aber sie lagen schön und friedlich in der Stille, und keine Spur roten Staubes hing in der Luft.
Dann überquerten sie den Hügelkamm und blickten ins Land des Feuers hinab. Rechts und links prangten die Hügel im bezaubernden Gold des Herbstlichtes; rechts und links waren die Berge noch grün vom Wald, der gerade erst in Ansätzen in Rot und Gold überging. Die hohen, von Wind und Wetter abgeschliffenen Bergwände glitzerten von Eis. Doch direkt vor ihnen breitete sich nach Norden und Westen hin die Wüste aus und schimmerte bis zum fernen Horizont vom Feuer.
Alle Männer blieben stehen, als hätte jemand einen entsprechenden Befehl gebrüllt. Sie hielten auf dem Kamm an und starrten auf den brennenden Sand hinab. Greifen waren nicht zu sehen, aber die Wüste selbst schien bedrohlich genug, und es konnte keinen einzigen Mann in der Truppe geben, der sich nicht überlegt hätte, einfach den Speer wegzuwerfen und nach Süden zu gehen. Schließlich waren es keine richtigen Soldaten.
Aben Annachudran ritt an die Spitze der Truppe, wandte sich den Männern zu und erklärte mit klarer, lauter Stimme: »Beguchren Teshrichten, des Königs persönlicher Magier, ist gekommen, um zu verhindern, dass dieses Land aus Sand und Feuer über unsere ganze Heimat kommt. Er hat kein Heer aus dem Süden mitgebracht, denn er benötigt keines. Was er benötigt, sind der ehrliche Mut und die Entschlossenheit einfacher Menschen des Nordens, und er wusste, dass er beides hier finden würde. Und das hat er.« In der tiefen Stille, die diesen Worten folgte, wandte er sich mit Bedacht dem silberäugigen Magier zu: »Mein Fürst, was wünschst du von uns?«
»Mut und Entschlossenheit«, antwortete Beguchren ebenso laut und klar. »Wir steigen hinab in die Wüste, und sobald wir hier fertig sind, wird es erneut ein Land der Erde sein.«
»Wie du befiehlst, mein Herr«, erklärte Annachudran förmlich. Er trug selbst keinen Speer, aber er hob den Arm und wies den Weg, und die Offiziere griffen den Befehl mit scharfen, weittragenden Stimmen auf. Die ganze Truppe machte sich auf den Weg hangabwärts in die rote Wüste und folgte dabei der Furche im roten Sand, die das ausgetrockene Flussbett des Teschanken markierte. Am Wüstenrand schwang sich Annachudran vom Pferd, nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und ließ es frei, und Beguchren tat es ihm gleich. Und dann betraten sie das Land des Feuers.
Kleine Flammen flackerten auf dem Sand, und die hochaufragenden scharfkantigen Felsnadeln zeichneten sich deutlich vor dem grimmigen Messinglicht ab, das schwer auf der Wüste lag und so gar nichts mit dem gewöhnlichen Sonnenlicht zu
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