Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
Fürst Bertaud zögerte, starrte erst den Magier an und hob die Augen dann zu dem dunklen Greifen, gegen den Beguchren kämpfte.
Tehre duckte sich tief, um trotz der heftigen Windstöße das Gleichgewicht zu halten, und näherte sich Gerent. Sie hatte schon gewusst, dass er es sein würde, der hier an diesem Hang an der Seite von Beguchren Teshrichten war. Wer sonst hätte es sein sollen? Er schien jedoch kaum bei Bewusstsein. Verletzt war er nicht. Als Tehre mit den Augen der Schaffenden hinsah, fand sie keinerlei Schwachpunkt oder Schaden in der Struktur seines Körpers. Er wirkte jedoch benommen vom Grauen oder von der Erschöpfung. Er lag auf den Unterschenkeln, auf die Fersen zurückgesetzt, hatte den Kopf gesenkt und die Hände vor den Augen, als wollte er die Wüste, den feurigen Wind, die Greifen und alles, was damit zu tun hatte, nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Sie tätschelte ihm erst die Schulter und dann das Gesicht. Doch obwohl er schließlich die Hände senkte, schien er Tehre nicht zu erkennen. Seine Augen zeigten noch nicht einmal ein Flackern von Erkenntnis. Und wenn er sich bewegte, schien es, als müsste er die ganze Last der Welt verschieben, um auch nur einen Finger zu krümmen.
Verdutzt drehte sich Tehre um, hockte sich neben ihn und sah Beguchren an. Der Magier des Königs kämpfte gegen Kairaithin, so viel wurde deutlich. Der Greifenmagier war inzwischen auf die Wüste herabgestoßen und stand Beguchren gegenüber, die mächtigen Schwingen inmitten wehenden Sandes und springender Flammen halb ausgebreitet. Kaum etwas, das weiter entfernt war als der Greifenmagier, blieb für Tehre sichtbar: Obwohl sie sich anstrengte, die Soldaten unten zu entdecken, verbargen die Nacht und der Wüstenwind sie vor ihrem Blick.
Kairaithin hob ein gefiedertes Vorderbein, als wollte er zuschlagen, aber dann setzte er den Klauenfuß wieder an exakt die gleiche Stelle zurück. Tehre dachte, dass der Greifenmagier einen Schritt nach vorn hatte tun wollen und von Beguchren aufgehalten worden war. Der Kaltmagier war leicht nach vorn gebeugt und runzelte die Stirn, das Gesicht in dem seltsamen Licht maskenhaft, die Augen undurchsichtig und weiß wie das Eis eines tiefen nördlichen Winters. Er wehrte Kairaithin ab, so viel konnte man sehen.
Aber Tehre sah auch noch mehrere weniger offenkundige Dinge. Sie sah, dass Beguchrens Aufmerksamkeit im Grunde auf etwas anderes gerichtet war, während er gegen den Greifenmagier kämpfte. Die seltsamen eisigen Augen des Kaltmagiers wandten sich kaum einmal dem Greifen zu; vielmehr hielt er am trüben, staubverhangenen Himmel nach etwas anderem Ausschau. Oder jemand anderem. Einem anderen Greifen?, überlegte Tehre. Einem weiteren Greifenmagier? Oder sonst etwas?
Und Fürst Bertaud wirkte ebenfalls abgelenkt oder besorgt – nun, jeder wäre sicherlich in dieser Lage besorgt, im Grunde sogar entsetzt. Doch entsetzt wirkte der Fürst keineswegs. Auch duckte er sich nicht vor den heftigen Winden, wie Tehre es tat. Er stand da, die Hände an den Seiten, den Kopf im Nacken, und betrachtete Kairaithin. Manchmal starrte er zu einem anderen Greifen hinauf, der ihm näher kam als sonst, kurz auftauchte und wieder im feurigen Wind verschwand. Das einzige Mal, dass Tehre den Fürsten zusammenzucken sah, war, als ein leuchtend weißer Greif rasch heranflog – eine Kreatur von so reinem Weiß, dass er aus Alabaster geschnitzt und zu feurigem Leben erweckt hätte sein können. Der weiße Greif peitschte der Länge nach am Hang entlang, so tief, dass die langen Federn der Flügelspitzen über den Sand gestrichen wären, hätte er mit den Fittichen so tief geschlagen. Ehe der Greif den Sand erreichte, legte er die Schwingen jedoch schräg, zog hoch und verschwand ... Im Grunde mussten die Federn dieser Wesen aus besonders starkem und biegsamem Material bestehen, andernfalls wären sie sicher unter der Wucht des Windes gebrochen, wenn eine gefiederte Kreatur solche Wendemanöver durchführte ...
Tehre sah sich in die Gegenwart zurückgeworfen, als sich Säulen aus verformtem Fels unvermittelt hinter Kairaithin durch den Sand bohrten, eine auf jeder Seite. Die Wüste bebte und grollte, während sich das Gestein aus dem Sand befreite und in den heftigen Wind emporwuchs, der an den scharfen Felskanten kreischte und stöhnte. Tehre spürte dort, wo sie saß, die mahlende Bewegung dieser verformten Säulen ... Doch nein! Was sie da in Wirklichkeit fühlte, war das
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