Der Greifenmagier 2 - Land des Feuers
überrascht.«
»Als es so weit war, dass ich sie eigentlich hätte zurücklassen sollen, konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich bin aber froh, dass sie in Sicherheit sind.« Jetzt war Gerent an der Reihe zu zögern. Langsam sagte er und betrachtete den anderen Mann dabei gründlich: »Ihr hättet das nicht getan ...«, erneut fuhr er mit dem Daumen über die jetzt ungezeichnete Wange, »... wenn Ihr plantet, mich zu meinem früheren Meister zurückzuschicken. Nicht mal, wenn Ihr mich einfach nur verkaufen wolltet. Ich bin Euch äußerst dankbar. Ich frage mich jedoch, ob Ihr wirklich vorhabt, mich zu behalten. Oder ... ob Ihr mich letztlich doch freilasst. Ich möchte Euch nicht verärgern, Herr. Ich weiß, dass ich Eure Gutmütigkeit mir gegenüber ausnutze. Ich sagte, dass ich nicht erneut darum bitten würde. Ich bitte Euch jedoch, mir ein weiteres Mal zu gestatten, dass ich frage, ob Ihr ...«
Jetzt war es an Annachudran, eine Hand zu heben. In forschem und bestimmtem Ton erklärte er: »Ich werde dich weder verkaufen noch weggeben, egal was du sagst. Ich lasse auch nicht zu, dass jemand dich mir wegnimmt. Du bist hier in Sicherheit. Verstehst du das?« Sein Ton wurde sanfter. »Im Grunde möchte ich dich gerne freilassen. Ich denke, dass ich es dir schulde, und außerdem ... na ja. Aber ich frage dich ein weiteres Mal: Was hast du getan?«
Gerent wusste, dass ihn das nicht hätte überraschen dürfen. Das tat es jedoch. Er war sehr verunsichert. Nichts in diesem Haus schien alltäglichen Bahnen zu folgen; all das, was er üblicherweise getan oder gesagt hätte, schien ... unmöglich.
Er hatte diese Frage nie beantworten wollen. Er musste es jedoch tun.
Er wagte nicht, Annachudran zu belügen. Er wollte das im Grunde nicht einmal. Er hätte die Frage am liebsten irgendwie abgewehrt. Das brachte er jedoch auch nicht fertig.
Gerent nahm seinen ganzen Mut zusammen und versuchte, dem Blick des anderen standzuhalten. Es gelang ihm nicht. Er starrte vielmehr die Wand an. Dann erzählte er in einem vollkommen ausdruckslosen Ton: »Mit zwanzig heiratete ich ein reizendes Mädchen aus gutem Hause. Wir waren sehr glücklich. Ich dachte jedenfalls, wir wären es. Als ich dreiundzwanzig war, ertappte ich sie ... mit einem Mann. Einem Freund von mir, wie ich dachte. Ich hob einen Stuhl und zerschlug ihn, um einen Knüppel zu erhalten. Ich hatte vor, den Mann zu erschlagen. Ich schwöre, dass es nicht meine Absicht war, auch sie zu töten. Ich habe sie nicht mit dem Prügel geschlagen. Ich habe sie geohrfeigt.« Er brach ab, blickte Emre Tanschan an. Sie wich dem Blick nicht aus, und einen Augenblick später senkte Gerent den Kopf. »Ich wusste, wie stark ich war. Ich leugne das nicht. Vielleicht war es ja doch meine Absicht, sie zu töten. Sie starb. Der Mann ebenfalls.« Er blickte zu Boden, dann auf die eigenen Hände. Ballte sie zu Fäusten. Öffnete sie wieder. Schließlich zwang er sich, Annachudran in die Augen zu sehen. Er konnte dessen Miene nicht deuten. »Es ist keine glanzvolle Geschichte. Nicht spannend. Sie ist alltäglich und dumm, kleinlich und hässlich.«
»Und wahr.«
»Ja.«
»Gewöhnlich bindet man einen Mann für solch ein ... aus dem Impuls heraus begangenes Verbrechen nicht unter ein Fluchgelübde .«
Gerent nickte. »Ihr Vater war ein einflussreicher Mann. Seiner ebenfalls. Ich sagte Euch schon, dass ich mächtige Feinde hatte. Das stimmte. Mein eigener Vater war tot; meine Vettern konnten – oder wollten – mich nicht schützen.« Er brach diese Ausführungen ab, denn er wollte nicht erklären, dass sein Vetter Geseikan ein Rivale um die Gunst von Gerents Gattin gewesen war. Dass Gerent jung genug und dumm genug gewesen war, um das amüsant zu finden, bis er eines erfuhr: Geseikan tat alles, was er konnte, um sicherzustellen, dass Gerent durch ein Fluchgelübde gebunden wurde. Keiner der übrigen Vettern hatte versucht, sich da einzumischen. Hätte Gerents Mutter noch gelebt, hätte seine Schwester noch in Breidechboda gewohnt statt weit entfernt in Abraikan ... So hatte jedoch niemand auch nur den Versuch unternommen, ihm beizustehen.
Er holte tief Luft, bevor er seinem Meister erneut ins Gesicht blickte. Annachudrans Miene war schwer zu deuten. Ebenso die seiner Gattin. Gerent erklärte mit Nachdruck: »Es liegt neunzehn Jahre zurück. Als ich noch jung genug war, um zu glauben, eine Frau wäre es wert, für sie zu sterben. Ich hoffe, dass ich selbst damals nicht dumm genug
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