DER GREIFENMAGIER: Gesetz der Erde
zwischen Feuer und Erde hätte sich fortgesetzt wie seit Anbeginn des Zeitalters: ergebnislos und ermüdend, aber niemals ruinös.
Casmantium hätte nach wie vor seine Kaltmagier gehabt. Beguchren hätte seine alten Gefährten nicht allesamt der kaltenErde übergeben müssen. Und der Große Wall wäre nie erbaut worden und nie geborsten.
Beguchren hätte selbst noch immer über seine Zauberkraft und Macht verfügt.
Das war kein neuer Gedanke. Nur erwiesen sich Reue und Trauer im Angesicht des grünen Frühlings in Farabiand, mit seinem leichten Wind und der freundlichen Wärme, auf einmal als viel eindringlicher.
Beguchren hielt Ausschau nach Spuren der kahlen Wüste, welche die Greifen damals hier zwischen den freundlichen Hügeln und Bauernhöfen Farabiands erzeugt hatten. Aus dieser Höhe betrachtet, waren solche Spuren nicht einmal für seinen erfahrenen Blick erkennbar. Weiter unten im Süden jedoch war das Gras von anderer Beschaffenheit: länger und rauer und seltsam kräftig. Und der Erdboden unter diesem Gras wies einen schwachen rötlichen Schimmer auf. Bäume wuchsen dort nicht, außer einigen jungen Eichen und Ulmen, die jemand anscheinend kürzlich gepflanzt hatte; die Schößlinge standen in viel zu ordentlichen Reihen, um dort auf natürliche Weise entsprossen zu sein. Noch weiter entfernt, fast kaum noch zu sehen, ragte ein schartiger Turm aus verformtem Fels auf. Er spiegelte das Sonnenlicht auf merkwürdige Art: mit einem blutroten Schimmer, der die scharfen Kanten beinahe durchscheinend wirken ließ. Beguchren senkte den Kopf und richtete seinen Blick ab jetzt lieber auf die Mähne des Pferdes und die eigenen Finger am Zügel.
»Mein Freund«, sprach der Arobarn ihn an, und Beguchren atmete scharf ein und blickte wieder auf.
Der König hatte sein Pferd angehalten, sodass Beguchren zu ihm aufschloss. Ihre Augen begegneten einander in einem Augenblick vollkommenen Verstehens gemeinsamer Schuld und Reue. Keiner von ihnen sprach jedoch die Vergangenheit an – der Arobarn nicht, weil er sich ganz auf die Gegenwart konzentrierte, und Beguchren nicht, weil er ein viel zu eingekehrter Mensch war.
Auf den Sattelknauf gestützt deutete der Arobarn den Hang hinab, der sich nach Westen und ein wenig nach Süden neigte. »Dort liegt die Furt mit ihrer soliden Brücke. Die Brücke besteht weiterhin, denke ich. Sie wurde repariert, als der Wiederaufbau der Stadt begann.«
Beguchren nickte. Natürlich war sich der König im Hinblick auf die Brücke sicher – verfügte er doch gewiss über Meldungen von Agenten über jede Brücke und Furt in Farabiand, die es Menschen erlaubte, einen Fluss zu überqueren.
»So«, sagte der Arobarn ernst. Die Dame Maianthe war an die andere Seite des Königs geritten, ihren rechtskundigen Gefährten im Schlepptau, und blickte den König fragend an. Er drehte sich zu ihr um und erklärte: »Wir gehen mal davon aus, dass der Wall bislang hält. Vielleicht tut er es ja.« Sieben Tage waren inzwischen vergangen, seitdem der Greifenmagier dem Fürsten Bertaud die Warnung überbracht hatte. Vielleicht hielt der Wall, und sollte er es nicht, so blieb ihnen hier sowieso nichts anderes übrig, als zum Delta zu reiten und von dort aus einen unerwarteten Flankenangriff gegen die Greifen zu führen.
»Wir überqueren den Nedscheid«, fuhr der Arobarn fort. »Wir reiten quer durch das Land und halten dabei direkt auf Tiefenau zu, zumindest bis wir näher heran sind.« Er musste die Aussprache geübt haben, denn er brachte die schwierigen Farabiander Namen über die Lippen, ohne dass sein Zungenschlag allzu schwerfällig wirkte.
»Und weiter?«, fragte die Dame Maianthe unsicher.
Der Arobarn warf einen Seitenblick auf Beguchren und sagte: »Sollte der Wall geborsten sein, wird Iaor Safiad im Norden bleiben. Hält der Wall nach wie vor, dann kommt er vielleicht nach Süden. Wenn er das tut – welche Straße wählt er dafür? Folgter dem Sierhanan, dem direkten Weg ins Delta, jedoch mit der steten Gefahr verbunden, dass Linulariner Soldaten den Fluss überquert haben und vor ihm auf dieser Straße stehen? Oder dass sie ihn vielleicht gar aus einer beliebigen Richtung angreifen, falls Linularinum große Verbände über den Fluss gebracht und ihm eine Falle gestellt hat?«
»Nein«, antwortete Beguchren, da der Arobarn eindeutig wünschte, dass alle diese taktischen Erwägungen für die Dame erläutert wurden. »Wenn der Safiad nach Süden marschiert, dann entlang des Nedscheid bis
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