Der Grenzgänger
nur mit einem kurzzeitigen schmollenden Schweigen quittierte, während ich zu lesen begann.
Fleischmann hatte seine Geschichten geschickt aufgezogen. Ein ungelenker, leicht gehbehinderter und deswegen bisweilen unterschätzter Einzelgänger, der von einer Erbschaft leben konnte, stolperte gewissermaßen immer in ein kriminelles Geschehen hinein; ähnlich meiner Wenigkeit, die ebenfalls ohne eigenes Dazutun das Verbrechen unweigerlich anzog. Ich war froh, dass sich solche Begebenheiten nicht nur in der Realität, sondern offenkundig auch in Kriminalromanen abspielten. Jedenfalls wirkten die Geschichten dadurch für mich tatsächlich glaubhaft und sogar gegeben.
Die Romane spielten in einer nicht genannten Kleinstadt in der Region, die nach der ausführlichen Beschreibung Fleischmanns durchaus Stolberg sein konnte. Ein Stelzenhochhaus als Verwaltungstempel kannte ich aus keiner anderen Stadt in der Umgebung. Auch fehlte in der Romanstadt nicht die für Stolberg markante Altstadt mit der Burg und einem Flüsschen im Tallauf. Fleischmanns durchgängiges Thema waren die kriminellen Machenschaften machtbesessener Kommunalpolitiker sowie feister Verwaltungsbeamter, was ich mit großem Vergnügen zur Kenntnis nahm.
So gelangte zum Beispiel im ersten Roman der Verwaltungschef durch die intrigante Zusammenarbeit mit dem anmaßenden Bürgermeister und massive Bestechung zu seinem Spitzenamt, hatte aber aufgrund seines Wissens über menschliche und vornehmlich männliche Verfehlungen seine kommunalpolitischen Freunde fest in der Hand. Der für mich stimmige, für Sabine hingegen unerfreuliche Ausgang der Geschichte bestand darin, dass die korrupten und skrupellosen Hintermänner mitsamt dem Spitzenbeamten ungestraft davonkamen, während ihre Helfershelfer selbstverständlich als Opferlämmer geschlachtet wurden.
Auch in der zweiten Geschichte über Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung bei der Vergabe von städtischen Veranstaltungen an private Veranstalter kamen die beiden Drahtzieher, der Bürgermeister und der Stadtdirektor, ungeschoren davon. „Genau wie im richtigen Leben“, kommentierte ich begeistert.
Sabine hingegen schaute nach der Lektüre grimmig drein. „Findest du es etwa gut, dass das Böse das bessere Ende für sich behält?“
„Gut finde ich das nicht“, entgegnete ich, „aber so ist es nun einmal.“ Ich erinnerte meine Liebste an einen gewissen Herrn Suhrbach aus Erkelenz, der sich erkennbar auf Kosten anderer Menschen bereichert hatte und nun ungestraft in Saus und Braus leben konnte. „Unser Freund Hieronymus kann ein leidlich Liedchen davon singen. Aber einmal gehen auch diese Ganoven zu weit und werden geschnappt“, sagte ich überzeugt, „das gilt für Fleischmanns Figuren ebenso wie für Suhrbach.“
Schnell griff ich nach dem dritten Roman, um meiner Liebsten zuvorzukommen. Bald fand ich mich in einer Geschichte um Lug und Betrug in einer Bauverwaltung wieder. Da wurden Schmiergelder bezahlt und öffentliche Ausschreibungen manipuliert. Und wieder blieb zum Schluss die Frage offen, inwieweit Bürgermeister und Stadtdirektor davon gewusst oder sogar davon profitiert hatten, nachdem die Beamten des Bauamtes in den Knast gewandert waren.
„So ist es auch in der Wirklichkeit“, sagte ich pauschal, „die Großen lässt man laufen, die Kleinen werden gehängt.“
Die Geschichten von Fleischmann kamen mir irgendwie bekannt vor. Mir schien, als hätte ich sie schon irgendwo erlebt, und ich glaubte, seine Methode durchschaut zu haben. „Fleischmann sucht sich kriminelle Ereignisse im Umfeld der Kommunalpolitik und verarbeitet sie in seinen Romanen“, erklärte ich Sabine, die mir uneingeschränkt zustimmte. Das sei schon geschickt, meinte ich anerkennend. „Die Übergänge zwischen Realität und Fantasie sind oft nur schwer erkennbar.“
Auch in seinem vierten Roman blieb Fleischmann seiner Linie treu. In diesem Buch hatte er betrügerische Manipulationen im Sozialamt zum Schwerpunktthema gemacht. Wieder wurde nicht klar, ob zu Unrecht an Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber geflossene und an Mitarbeiter der Verwaltung zum Großteil zurückgegebene Gelder aus dem städtischen Säckel nicht doch wieder teilweise in der obersten Etage des Rathauses landeten.
Gespannt war ich auf die fünfte Geschichte und ich wurde, fast schon erwartungsgemäß, nicht enttäuscht. Darin schrieb der Krimiautor über angeblich gestohlene Blankoführerscheinformulare, die unter der Hand verkauft
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