Der Große Basar: Roman
tagelang wehtun würde.
Vorausgesetzt, er überlebte die nächsten Minuten.
Sandar gab den Versuch auf, die Rüstung durchbohren zu wollen, und stach mit dem Messer auf Arlens Hals ein. Doch Arlen gelang es, den Stoß abzufangen; er umklammerte Sandars Handgelenk, und eine Zeit lang rangen sie stumm miteinander. Arlen spannte jeden Muskel seines Körpers an, aber Sandar war ein Schwergewicht, befand sich in der günstigeren Position und kämpfte mit der ungeheuren Kraft eines Wahnsinnigen. Die Klinge näherte sich immer mehr der schmalen aber ungeschützten Rille zwischen Arlens Halsbeuge und Helm, an der Arlen am verwundbarsten war.
»Fast geschafft«, flüsterte Sandar heiser.
»Freu dich nicht zu früh«, ächzte Arlen und schmetterte eine gepanzerte Faust gegen Sandars gebrochenes Knie. Der Kurier stieß ein beinahe tierisches Geheul aus und bäumte sich gequält auf. Arlen verpasste ihm einen Boxhieb gegen das Kinn. Als Sandar umkippte, rollte er sich über ihn und presste nun ihn zu Boden. Er drückte sein Knie auf den Arm mit dem Messer und traktierte ihn solange mit schweren Schlägen, bis die Waffe aus Sandars kraftlosen Fingern rutschte.
Lange nach Einbruch der Nacht saß Arlen am Rand des Siegelnetzes, beobachte Einarms Toben und wog den Donnerstock nachdenklich in einer Hand. In der anderen hielt er ein Streichholz mit weißem Kopf. Es juckte
ihn in den Fingern, es anzuzünden, und die Armmuskeln spannten sich, bereit, den Donnerstock zu werfen. Er stellte sich vor, wie Einarm ihn mit seinen Kiefern schnappen und die Explosion den Kopf des Horclings zerplatzen lassen würde. In Gedanken sah er den verstümmelten Körper in einer Lache aus schwarzem Dämonenblut am Boden liegen.
Doch ständig hörte er Curks Stimme in seinem Kopf. Vergiss nicht, dass die Dinger nicht uns gehören. Am Ende mochte sich Curk als Feigling entpuppt haben, aber was die Donnerstöcke betraf, hatte er Recht. Arlen war kein Dieb. Er schaute zu Sandar und merkte zu seiner Überraschung, dass der Mann wach war und ihn anstarrte.
»Ich weiß, was du gerade denkst«, meinte Sandar, »aber weiter oben auf dem Berg liegt eine ganze Menge loses Geröll herum. Ein Donnerstock würde wahrscheinlich eher eine Steinlawine auslösen als diesen Dämon töten.«
»Du hast keinen blassen Schimmer, was ich denke«, widersprach Arlen.
Sandar knurrte. »Nein, natürlich nicht«, räumte er ein. »Ich grüble schon die ganze Zeit darüber nach, warum du mein Bein geschient und mir ein kaltes Tuch auf den Kopf gelegt hast. Wäre der Kampf anders ausgegangen, hätte ich dich getötet und eine Steilwand hinuntergeworfen.«
»Ich will nicht, dass du stirbst«, erklärte Arlen. »Du kannst auch mit dieser Schiene auf einem Pferd sitzen. Reite in aller Ruhe zurück, und ich werde Malcum
nur so viel erzählen, dass du nur deine Lizenz verlieren wirst, weiter nichts.«
Aus Sandars Kehle löste sich ein raues Lachen. »Wegen Malcum mache ich mir keine Sorgen, sondern wegen Graf Brayan. Wenn er Wind davon kriegt, dass ich versucht habe, ihn zu berauben, steckt mein Kopf noch vor Sonnenuntergang auf einer Pike.«
»Wenn die Fracht heil ankommt, sorge ich dafür, dass du deinen Kopf behältst«, versprach Arlen.
»Verzeih mir meine Skepsis, aber darauf möchte ich mich nicht verlassen«, entgegnete Sandar.
Arlen zuckte mit den Schultern. »Heute Nacht kannst du ja noch einmal versuchen, mich umzubringen, aber ich warne dich, ich habe einen leichten Schlaf. Wenn du mich noch ein einziges Mal angreifst, breche ich dir so viele Knochen, dass du nie wieder auf einem Pferd sitzen kannst. Dann schleife ich dich mit zu Brayans Gold, damit du den Leuten, die du bestehlen wolltest, in die Augen siehst.«
Sandar nickte. »Du kannst beruhigt schlafen, ich reite ganz friedlich zurück. Curk hatte Recht. Du sehnst dich danach, zu sterben, Junge. So was gibt’s. Die Chancen stehen hoch, dass du nicht lange genug leben wirst, um irgendjemandem irgendetwas erzählen zu können.«
Als die Dämonen im fahlen Licht der Morgendämmerung wieder in den Horc zurücksanken, hatte Arlen das
Lager bereits abgebrochen. Er und Sandar verließen den Schutz des Siegelpfostens und trennten sich, als die Sonne über den Berggipfeln aufging.
Während Arlen den Karren über den serpentinenreichen Weg lenkte, spürte er ganz deutlich, wie die Luft immer kälter wurde. Auf der Milneser Ebene hatte der Frühling bereits seine volle Pracht entfaltet, aber so weit oben hielten
Weitere Kostenlose Bücher