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Der große Bio-Schmaeh

Titel: Der große Bio-Schmaeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens G Arvay
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verwogen worden (man braucht dann nur mehr das Gewicht des Trucks abzurechnen). Draußen und in der Anlieferungshalle stapelten sich die Container mit der Lebendware. »In der Halle selbst können wir mindestens sechs volle LKW-Züge gleichzeitig unterbringen und nacheinander abladen. In Spitzenzeiten sind es sogar mehr«, ließ mich einer der Veterinärmediziner des Betriebes wissen, der an diesem Tag die Produktion überwachte.
    Ein Hubstapler kam angerollt und begann, die Bio-Hühner aus dem LKW containerweise auf ein breites Förderband zu schlichten. Dann wurden sie, als wären sie Kartoffeln, vollautomatisch in die Schlachtlinie gekippt.
    Allein an diesem Tag traten in dem Betrieb hundertvierzigtausend Hühner auf diese Weise die Reise in den industriellen Tod an. Fünfzigtausend davon waren Bio-Tiere und auf dem Weg in die Regale von
Zurück zum Ursprung
(Hofer),
Ja!Natürlich
(Rewe) und
Natur* pur
(Spar). Die Tiere fingen an, aufgeregt zu flattern und versuchten, übereinander hinweg zu flüchten. Doch das Fließband war schneller und beförderte die Hühnerberge in den lang gestreckten Tunnel der Gasanlage. Von nun an konnte ich das schaurige Treiben nur mehr durch gläserne Blickfenster beobachten. Die »Betäubung« (treffender wäre: Erstickung) erfolgte in zwei Phasen. Zunächst wurden die Tiere bei einer noch geringen Gaskonzentration durch die Anlage geschickt. Das bot einen entsetzlichen Anblick. Die Hühner rissen ihre Schnäbel weit auf, rangen um Luft, verloren aber nicht das Bewusstsein. Die Schnabelatmung ist bei Vögeln ein Zeichen größter Atemnot. »Das gefällt den Tieren natürlich gar nicht«, kommentierte der Veterinärmediziner das Geschehen. »Wir müssen sie zuerst einer geringen Gaskonzentration aussetzen, damit die eigentliche Betäubung dann greift.« Am Ende der lang gestreckten Gasanlage kehrte das Fließband um und transportierte die Hühner noch einmal durch den Tunnel. Diesmal eine Etage tiefer und bei hoher CO 2 -Konzentration: Massenbetäubung. Schließlich spuckte das metallene Monstrum Berge an regungslosen Vögeln aus. Auf einem breiten Fließband wurden sie, wild durcheinandergewürfelt, zum Einhängekarussell geschleppt und von Hand in die Metallhaken gehängt. »Diese Männer haben die unangenehmste Arbeit im ganzen Schlachthof«, wurde mir erklärt, aber ich hatte mir das ohnedies schon gedacht. Die Arbeiter, die aus Osteuropa und Afrika kamen, mussten mit der rasenden Geschwindigkeit der Maschinen Schritt halten. Sie standen unter Zeitdruck, die Luft war schlecht, das Ambiente schmutzig und das Getöse der Anlagen erschien mir auf Dauer unerträglich. Diese Männer waren zu integrativen Bestandteilen der Maschinen geworden. Derartig monotone Arbeit – viele Tausende Male pro Tag denselben Handgriff – bleibt nicht ohne gesundheitliche Folgen. Zwei von ihnen nahmen sich Auszeit und fingen an, sich gegenseitig zu massieren. Immerhin: So ein Bio-Huhn wiegt zwei Kilogramm. Einer fragte mich nach einer Schmerztablette und erschien dabei nur gezwungen humorvoll. Ich hatte keine.
    Ich ließ die Arbeiter hinter mir, folgte der Endlosschleife an sterbenden Hühnern und bewegte mich vorbei an dem bereits beschriebenen Rotationsmesser, das zehntausend Tieren pro Stunde die Kehle durchschnitt. Jeder einzelne weitere Verarbeitungsschritt musste während der Fahrt geschehen, da das Fließband nie stehen bleiben durfte. Es lief ununterbrochen, von drei Uhr morgens bis sieben Uhr abends. Es durchzog – wie ein verwinkeltes, verschachteltes Todeskarussell – den gesamten Fabrikkomplex von Alpha bis Omega. Ausbluten während voller Fahrt. Transport durch vier Brühtunnel und fünf Rupftunnel. Waschen, Abziehen von Kopf und Speiseröhre, Aufbohren der Kloake, Ausnehmen und Aussaugen. Abschneiden von Körperteilen, Hacken hier, Hacken dort: Überall bohrten Roboter ihre Arme im dreifachen Sekundenrhythmus in die Hühnerkörper, klopften und zerrten an ihnen, rüttelten und schüttelten sie, zermalmten Teile. Köpfe und Speiseröhren tanzten, auf Haken hängend, über meinen eigenen Kopf hinweg. Unter meinen Füßen verliefen Kanäle, in denen Ströme des blutigen Abwassers kreuz und quer durch die Hallen flossen. Die fertigen Schlachtkörper stiegen dann in Reih und Glied durch eine Luke in der Decke ins obere Stockwerk auf. Dort betrat ich schließlich den verrücktesten Kühlraum, den ich je gesehen hatte. Weil die Anlage niemals stehen bleiben darf, können die Hühner auch im

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