Der große Bio-Schmaeh
den Arbeitsbedingungen landwirtschaftlicher Hilfsarbeiterinnen und Hilfsarbeiter in Europa – auch in Österreich – äußerst prekäre Arbeitsumstände fest 37 . In seiner wissenschaftlichen Publikation mit dem Titel »Was hat Gemüse mit Migration zu tun?« identifiziert Dieter A. Behr die Nutzung ausländischer Billigkräfte als Konsequenz der Preispolitik des Handels. »Eine strukturelle Ursache für schlechte Bezahlung der Saisonniers sowie Erntehelferinnen und Erntehelfer ist die mächtige Position der Großverteiler und der Supermärkte«, schreibt Behr 38 . Und weiter: »Wenn die Preise für Obst und Gemüse in einem globalisierten Markt festgelegt werden und die Supermarktketten auswählen können, wo man gerade am billigsten einkaufen kann, bleiben soziale Standards auf der Strecke.« Regelrechte Ballungszentren der prekären Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft sind das nördliche Burgenland und der Osten Niederösterreichs, also die Regionen an der Grenze zur Slowakei und zu Ungarn. Dort befinden sich neben dem Csardahof zahlreiche andere Produktionsstätten des industriellen Bio-Gemüsebaus. Die in der Werbung für
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hochstilisierte »Region Nationalpark Neusiedlersee« verkauft sich zwar gut, doch dass sich die dortigen Bio TM -Betriebe ganz genauso wie in anderen Gebieten durch ausgedehnte Gewächshausflotten, industrielle Methoden und den Einsatz osteuropäischer Billigarbeitskräfte auszeichnen, wird uns in der Werbung verschwiegen. Bekanntlich ist die Situation für Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten vor allem in Spanien und Italien, aber auch in Frankreich sowie in manchen Ländern außerhalb Europas noch dramatischer als in Österreich. Das hält
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und viele andere österreichische Bio-Marken jedoch nicht davon ab, aus solchen Ländern billige Bio-Treibhausware in rauen Mengen zu beziehen 39 . Wer beim Einkaufen auf soziale Aspekte Wert legt, sollte daher insbesondere mit Gemüse und Obst aus dem Ausland zurückhaltend sein und sich über die jeweilige Herkunftsregion im Vorfeld erkundigen.
Gigantismus auch bei Bio TM -Obst und Bio TM -Gemüse
Als die österreichische Spargelernte begonnen hatte, fuhr ich hinaus zu Produzentinnen und Produzenten mehrerer Bio-Marken. Eines Tages stand ich auf einem ausgedehnten Spargelacker inmitten einer endlos erscheinenden Agrarwüste.
»Wir bewirtschaften hundertvierzig Hektar«, erklärte mir der Landwirt. Das entspricht knapp eineinhalb Millionen Quadratmetern. »Wir produzieren für die großen Handelskonzerne. Da läuft der Verdienst nur mehr über die Menge.« Gäbe es nicht die Möglichkeit, spottbillige Erntehelferinnen und Erntehelfer aus dem Ausland zu bekommen, erfuhr ich, so hätte man schon längst zusperren müssen. In diesem Moment rollte über den Feldweg ein Pick-up heran. Eine Gruppe ungarischer, rumänischer und bulgarischer Arbeiterinnen sprang von der Ladefläche und marschierte in der frühsommerlichen Nachmittagssonne in die Richtung des Spargelmeeres. Als die Frauen an mir vorbeikamen, konnte ich dank meiner Anfängerkenntnisse des Ungarischen ein paar Worte mit ihnen wechseln: »Sziasztok! – Grüß euch!« – »Szia«, war die freundliche Antwort. »Hogy vagytok? – Wie geht es euch?«, fragte ich. Sie lachten und tuschelten miteinander. »Hát, köszönjük!«, rief eine von ihnen aus. Das bedeutet: »Geht so, danke!« Dann verteilten sie sich über das Ackerland. Ich rief noch nach: »Szép napot kívánok! – Ich wünsche euch einen schönen Tag.«
Ich erfuhr, dass in diesem Betrieb jedes Jahr etwa sechzig osteuropäische Helfer arbeiten, denen Nummern zugeordnet werden. Über die Arbeitsleistung jeder einzelnen Nummer ist der Betriebsleiter stets im Bilde. Eine Maschine in der Verpackungshalle zählt auf die Spargelspitze genau, wer wie viel Spargel pro Tag erntet. In derselben Region stieß ich auch auf riesige Kartoffel-, Karotten- und Zwiebel-äcker, auf denen für verschiedene Bio-Marken im großen Stil produziert wird. Bei agrarindustriellen Betrieben dieser Größe ist keinerlei Hofindividualität mehr feststellbar, die in den ursprünglichen Konzepten des Ökolandbaus eine so wichtige Rolle gespielt hat. Der Löwenanteil der Bio TM -Ware aus dem Ackerbau wird landesweit von einer zentralen Großhandelsfirma in Niederösterreich gebündelt. Karotten, Kartoffeln, Zwiebeln, Knoblauch, Pastinaken, Topinambur und andere Produkte des in- und ausländischen Bio-Feldgemüsebaus
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