Der große deutsche Märchenschatz
war weg.
Das ist die Geschichte von dem ersten Nussknacker. Habt wohl acht, Kinder, dass euch die Köpfe oder wenigstens die Fingerlein nicht abgebissen werden; denn wie ihr Urahnherr, so machen auch die Enkel und Urenkel des Nussknackergeschlechts mit bösen Kindern nicht viel Federlesens!
Gänsechristel
Es lebte einmal ein kleines Mädchen, dem waren Vater und Mutter gestorben und hatten es in groÃer Armut zurückgelassen. Niemand wollte sich des Waisenkindes annehmen; endlich wies man ihm ein Winkelchen im Armenhause an, und damit es sein Brot verdiene, musste es die Gänse der reichen Bauern hüten. Das war eine böse Arbeit, denn die groÃe Herde Gänse lieà sich schwer zusammenhalten, und wenn am Abend auch nur eine Gans fehlte oder zu früh nach Haus geflogen war, ging es der armen Gänsechristel traurig.
Einst hütete sie die Gänse auf einer vom Dorfe weit abgelegenen Weide und hatte mit ihnen ihre liebe Not, denn es gab wenig Futter auf der Weide, und an frischem Wasser fehlte es gänzlich. Wie sie nun sich bemühte und abärgerte, stand plötzlich ein kleines buckliges Männlein vor ihr und sagte:
»Gib mir dein Tüchlein,
so lehr ich dich zwei Sprüchlein.«
»Das wär mir ein schöner Tausch!«, rief lachend die Gänsechristel, »Sprüche weià ich selbst genug.«
»Aber meine Sprüchlein doch nicht«, sagte das Männlein, »die könnten dir gute Dienste tun. Wenn du eine Gans würdest, dann würde deine Not schnell ein Ende haben; die Gänse würden deine Sprache verstehen und dir als ihrer Meisterin gehorchen.«
»Das fiel mir ein, eine Gans zu werden«, rief die Gänsechristel; »ich habe keine Lust, Gras und Hafer zu fressen und mich zu Martini schlachten zu lassen.«
»Hi! Hi!«, lachte der Kleine, »so istâs nicht gemeint. Das eine Sprüchlein macht dich zur Gans, und das andere macht dich wieder zur Gänsechristel.«
»Da, nimm!«, sagte die Gänsechristel, knüpfte ihr Tüchlein los und gab es dem kleinen Mann, der es sich um den Kopf band und vor Freude umherhüpfte. Dann trat er vor die Gänsechristel hin und sagte ihr seine Sprüchlein. Das eine lautete:
»Hurtedigurte, wer kannâs?
Erst ein Mägdlein und jetzt eine Gans.«
Das andere aber hieÃ:
»Hurtedigurte, wer kannâs?
Jetzt ein Mägdlein und erst eine Gans.«
»Vergiss nur das zweite Sprüchlein nicht«, rief lachend der Kleine, »es wäre schade um dich, wenn du zu Martini geschlachtet würdest. Hi! Hi!« Mit diesen Worten lief er dem nahen Walde zu und verschwand. Die Gänsechristel aber dachte, du willst doch einmal die Sprüche versuchen und sehen, ob dich dies bucklige Kerlchen nicht betrogen hat. Sie sprach den ersten Spruch leise vor sich hin, und kaum war das letzte Wort von ihren Lippen, so war sie auch schon in eine schöne weiÃe Gans verwandelt worden. Die Gänse schienen sich gar nicht darüber zu wundern, sie kamen zutraulich herbei und fingen an, über allerlei mit ihr zu schwatzen, und sie verstand die seltsame Sprache und konnte sie selbst reden. Von nun an hatte sie gute Zeit, denn es fehlte ihr nicht an Unterhaltung, und die Gänse gehorchten ihr gern.
Wenn der Abend kam und die Gänse heimgetrieben werden sollten, sprach sie das andere Sprüchlein und trieb dann als Gänsechristel ihre Herde vergnügt nach Hause. Eines Abends aber erhoben plötzlich die Gänse ein gewaltiges Geschrei, und eine nach der andern flog schreiend dem Dorfe zu. Sie hatten einen Fuchs bemerkt, der aus dem Walde geschlichen kam. In der Angst war auch die Gänsechristel als Gans mit fortgeflogen und mit noch vielen anderen Gänsen in den Hof eines reichen Bauern eingefallen. Als die Bauersfrau die Gänse angeflogen kommen sah, sagte sie zornig: »Komm mir nur morgen unter die Finger!«
Die Gänsechristel, die unter den andern Gänsen stand, zitterte vor Angst, denn sie wusste nur zu gut, wem die Drohung galt. Sie lief daher eilig in den Gänsestall, und die andern Gänse folgten ihr. Als die letzte Gans im Stalle war, verschloss ihn die Bauersfrau und sagte zur Magd: »Morgen kommt meine Frau Base, da wollen wir die beste schlachten.« Als die Gänsechristel das hörte, gab sie sich im Stalle geschwind ihre rechte Gestalt wieder, denn sie dachte, sie könne als beste an das Messer geliefert werden.
Am
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