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Der große deutsche Märchenschatz

Der große deutsche Märchenschatz

Titel: Der große deutsche Märchenschatz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anaconda
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frühsten Morgen kam die Bauersfrau mit der Magd, schloss den Stall auf und sagte: »Kriech hinein und such mir die beste aus.« Die Magd kroch in den finstern Stall, tappte umher und erwischte in der Dunkelheit die Gänsechristel, die in einer Ecke saß, bei den Haaren.
    Â»Still!«, rief diese, »verrat mich nicht!« Aber die erschrockene Magd schrie: »Lasst mich heraus! Lasst mich heraus!« Da öffnete die Frau die Tür ein wenig, und die Magd schlüpfte heraus und flüsterte am ganzen Leibe zitternd: »Frau, da drinnen ist’s nicht richtig. In dem Stalle steckt ein Dieb, wenn’s nicht gar der Teufel ist. Das Ding da drinnen griff sich ganz haarig an und hatte feurige Augen und brüllte mich an. Habt Ihr denn nichts gehört?«
    Da wurde der Bauersfrau angst und bang, und sie rief nach ihrem Manne. Als der hörte, um was es sich handelte, ergriff er einen großen Knüppel und rief drohend: »Heraus, wer da drinnen steckt!« Und indem er das rief, riss er die Tür weit auf. Die Gänsechristel hatte sich in ihrer Angst geschwind wieder in eine Gans verwandelt und war die erste, die mit lautem Gak! Gak! aus dem Stalle lief. Die andern Gänse folgten ihr, und alle liefen zum Hofe hinaus, und als die Bauersfrau mit der Magd laut schreiend hinterdrein lief, flogen die Gänse auf und flogen hoch über das Dorf weg. Die Bauersfrau aber schlug die Hände über dem Kopfe zusammen und jammerte: »Ach meine Gänse! Meine fetten Gänse!«
    Während dieses geschah, stand der Bauer noch immer mit seinem Knüppel vor dem Stalle und rief immer zorniger: »Heraus, was da drinnen steckt!« Endlich blickte er vorsichtig in den Stall, und als er sah, dass der Stall leer war, kratzte er sich hinter dem Ohr und brummte: »Bei der Magd ist’s wohl im Oberstübchen nicht richtig; morgen soll sie den Abschied erhalten.«
    Die Gänsechristel war als Gans in den Wald geflogen, aber – o Jammer! – als sie das zweite Sprüchlein gaken wollte, hatte sie es in all der Angst vergessen. Sie ließ traurig den Kopf hängen und sann und sann, aber es war alles umsonst. Da hörte sie plötzlich hinter einem Busch ein leises Gekicher. Sie machte einen langen Hals, um zu sehen, was dort so höhnisch lachte. Da stand das kleine bucklige Männlein, stemmte die Hände in die Seiten und lachte:
    Â»Hi, hi, hi! Hat den Spruch vergessen,
    muss nun Hafer fressen!«
    In demselben Augenblicke aber hatte ihn auch die Gans am Beine gepackt und sich so festgebissen, dass der höhnische Wicht laut aufschrie und der Gans die besten Worte gab, dass sie ihn doch loslassen möchte. Aber sie hielt ihn so lange fest, bis er ihr wieder zu dem zweiten Sprüchlein verholfen hatte. Oh, wie froh war die Gänsechristel, als sie keine Gans mehr war! Der kleine Mann aber rieb sich sein Bein und hinkte verdrießlich fort; denn wenn es nach seinem Wunsch gegangen wäre, hätte die Gans eine Gans bleiben müssen.
    Und die Gänsechristel? Die hat nie wieder die Sprüchlein gebraucht, sondern geduldig ihre Gänse gehütet, durch Schaden war sie klug geworden und hielt es ihr Leben lang mit dem Sprichwort:
    Trau, schau, wem.

Wie ein kluges Schneiderlein
seine Seele rettete
    In einem kleinen Städtchen wohnte einstmals ein Schneiderlein, ein gar lustiges Männchen, dem der Schneidertisch gar nicht recht gefiel. Es trieb sich weit lieber in Gottes freier Natur herum oder suchte bald hier, bald dort die ihm befreundeten sonstigen Tagediebe auf, um sich mit ihnen in der Schenke zu erlustigen. Da war es ja wohl kein Wunder, dass in seinem Hause oft Schmalhans Küchenmeister war und Weib und Kind hungrig zu Bett gehen mussten.
    Eines Tages hatte er wieder mal die Elle von sich geworfen und war hinausgewandert. Da begegnete ihm ein guter alter Freund, der bei einem Grafen als Jagd- und Waldhüter in Diensten stand und eben ins Städtchen gekommen war, um sich in flotter Gesellschaft bei einem Glase echten Braunbiers zu erfrischen, denn es war mitten im Sommer und die Sonne brannte recht heiß. Unser Schneiderlein ließ sich nicht lange bitten, den Jägersmann zu begleiten; bald saßen sie fröhlich zusammen in der Schenke, plauderten und tranken nach Herzenslust. Es blieb auch nicht beim Biere, sondern der Jäger ließ guten Wein bringen, eine Flasche nach der anderen, schenkte dem Schneider wacker ein und klopfte dabei

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