Der große deutsche Märchenschatz
und kam tiefer und tiefer bis zur Eiche. »Graue Eiche, öffne dich!«, sprach es und die graue Eiche öffnete sich und in ihr waren die schönsten Kleider, so man je auf dieser Erde gesehen hatte, und darunter war ein Kleid, das glänzte so licht und blass und schön wie der Mond, wenn er am klaren Abendhimmel steht, und das gefiel dem Mädchen vor allen übrigen, und das zog es, nachdem es sich an dem klaren Bächlein gewaschen hatte, an und eilte in die Kirche.
Wie das Mädchen in die Kirche kam, machten alle der schönen Jungfrau im
Mondkleide
ehrerbietig Platz, sodass sie bis zum Betstuhle des Grafen kam. Sie kniete sich hinein und der Graf sah die schöne Jungfrau an und sah das Mondkleid und konnte keinen Blick von ihr wenden. Als die Messe zu Ende ging, winkte der Graf den Bedienten, der unbekannten Jungfrau zu folgen und sie nicht wegzulassen. Als das schöne Mädchen wieder sich entfernte und das Mondkleid rauschte, machten sich die Bedienten auf und folgten ihm auf dem FuÃe nach. Es eilte aus Leibeskräften, doch vergebens. Als es aber sah, dass kein Entrinnen möglich sei, holte es aus ihrem Beutel blanke Zwanziger hervor, die sie aus der Eiche mitgenommen, und warf sie aus. Die Diener machten sich nun gierig über die Silberlinge her und dachten, wenn sie genug Geld hätten, könnten sie auch anderswo unterkommen. Das arme Mädchen entkam aber im Mondkleide zur grauen Eiche, zog das blasse Mondkleid ab, tat wieder das arme, schmutzige graue Kittelchen an und kehrte als Hennenmädel zum stolzen Schlosse zurück, wo es die Hähne, Hennen und Hühnlein auf dem Wiesengrunde hinter dem Turme hütete.
Der junge Graf aber hatte nun keine Ruhe und keine Rast mehr, denn es fehlte ihm die schöne Jungfrau im blassen Mondkleide, und das machte ihn verstimmt und unzufrieden, sodass sein Antlitz, das früher wie eine Rose blühte, welkte und seine Stirne nie mehr heiter war. Stundenlang stand er auf dem Söller und sah gedankenlos in die blaue Ferne hinaus, und in Gesellschaften wusste er nicht einmal, wovon gesprochen wurde. Die lange, lange Woche schien ihm gar kein Ende nehmen zu wollen, so langsam verschlichen ihm die Tage.
Als wieder der Sonntag kam und die Glocken läuteten, ging der Graf wieder in die Kirche; das Hennenmädchen aber ging wieder in den Wald hinaus zur grauen Eiche, wusch sich an der klaren Quelle und sprach mit hastiger Stimme: »Graue Eiche, öffne dich!« Die graue Eiche öffnete sich und das Mädchen nahm diesmal das
Sternenkleid
. Das war blau und voll goldener Sterne, die glänzten aber wie wirkliche Sterne, die nachts am Himmel stehen, und es war, als ob sie sich sachte bewegten und bald mehr, bald weniger schimmerten. Zugleich steckte sie viele, viele Goldstücke in die Tasche und eilte in die Messe. Es war schon das Gloria, als die schöne Jungfrau im schimmernden Sternenkleide daherkam und sich an die Seite des Grafen kniete. Der Graf war wieder froh und sah und sah nur die schöne Jungfrau an und das schimmernde Sternenkleid und konnte keinen Blick von ihr wenden, denn er meinte, noch nie etwas Schöneres gesehen zu haben. Und wie er sie so selig ansah, wurde ihm das Herz so weich, dass er den Grafenring von der Hand zog und ihn der schönen Nachbarin an den Finger steckte. Als die Messe zu Ende war und die schöne Jungfrau aus der Kirche ging und das Sternenkleid rauschte, stürzten auf einen Wink des Grafen die Diener ihr nach und folgten ihr auf dem FuÃe. Sie griff aber in den Beutel und warf Goldstücke aus, dass es auf dem Boden glitzerte und funkelte, als hätte es Gold geschneit, und die Diener warfen sich auf die goldenen Füchse und dachten: »Wenn wir Geld genug haben, können wir auch anderswo unterkommen.« Das arme Mädchen im Sternenkleide enteilte aber, ging zur grauen Eiche, zog das schimmernde Sternenkleid ab, tat wieder das arme, schmutzige graue Kittelchen an und kehrte als Hennenmädel zum stolzen Schlosse zurück, wo es die Hähne, Hennen und Hühnlein auf dem Wiesengrunde hinter dem Turme hütete.
Der Graf hatte aber keinen frohen Tag mehr, so ging es ihm zu Herzen, und er sah tagtäglich blässer aus und alterte zusehends. Man holte Ãrzte aus der ganzen Umgegend, allein sie konnten dem kranken Grafen nicht helfen, denn es war für diese Krankheit kein Kräutlein gewachsen.
Da rieten dem kranken Herrn die Freunde, die um die
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