Der große deutsche Märchenschatz
es wäre der andere und sprach: »Ihr kommt ja früh zurück; ich meinte, Ihr wolltet erst über ein Jahr wieder hier sein, und jetzt ist doch kaum ein halbes verflossen.« â »Ach, Herr Wirt«, sagte der Junge, »Ihr haltet mich gewiss für meinen Bruder; könnt Ihr mir vielleicht sagen, wo er hingeritten ist?« Da zeigte ihm der Wirt den Weg, den sein Bruder geritten war. Er zog die StraÃe weiter fort und kam an das Wasser und die Brücke, und als er da hinüberritt und eben auf der andern Seite war, floss sie hinweg. »Das ist noch einmal gut gegangen«, rief er; »es war Zeit, dass ich hinüberkam.« Als er nun immer weiterzog, fand er auch das Schloss, daraus kam ihm seines Bruders Hund entgegengelaufen, und in dem Stalle, wo den Pferden der Hafer von selber in die Krippen fiel, stand seines Bruders Pferd. Da sah er wohl, dass hier oder nirgends sein Bruder zu finden sei, band sein Pferd in den Stall und ging in das Schloss hinein.
Es waren da auch wieder die beiden Jungfern, eine weiÃe und eine schwarze; die weiÃe lag noch immer im Bett; sie lebte nicht und war nicht tot und konnte kein Wort sprechen. Die schwarze war aber schon etwas weià geworden, weil der erste Bruder bis drei Uhr in der Nacht gewacht hatte, und als sie der andere fragte, ob sein Bruder nicht hier wäre, erzählte sie ihm, wie es dem ergangen sei, dass er eingeschlafen wäre und dass ihn die alte Zigeunerin ums Leben gebracht hätte. Da ruhte der Junge nicht eher, bis er das alte Weib fand, das sich versteckt hatte, und da musste sie aus ihrem Schlupfwinkel heraus, und der Junge bedrohte sie und sprach: »Verdammte alte Hexe! Gib meinen Bruder heraus oder ich haue dich in eine halbe Stiege Stücke!« Da wurde das Weib bange, lief schnell hin und machte den Bruder wieder lebendig. Als der andere sah, dass sein Bruder wieder am Leben war, schwang er sein Schwert und hackte der alten Hexe den Kopf ab.
»O weh!«, sprach da die schwarze Jungfer; »nun kann das Schloss nicht anders erlöst werden, als wenn ihr den sieben Nägeln, die dort hinter der Tür in der Wand sitzen, mit zwei Hieben die Köpfe abhaut.« Der zweite Bruder zog sein Schwert zuerst, und mit dem ersten Hiebe, den er tat, flogen von fünf Nägeln die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopfe floss ein Tropfen Blut. »So, Bruder; nun haue du die andern ab; du bist zwar eine gute Weile eingesalzen gewesen, aber ich denke, die beiden letzten Köpfe wirst du doch wohl herunterbringen.« Da nahm der erste Bruder, der so lange im Salze gelegen, alle seine Kraft zusammen und hieb mit seinem Schwerte den beiden letzten Nägeln auch glücklich die Köpfe ab und aus jedem Nagelkopf floss wieder ein Tropfen Blut.
In diesem selben Augenblicke hörte aber auch die Verwünschung auf. Trompeten erschallten, Bäume und Blumen wuchsen aus der Erde und wurde auf einmal ein Gewühl von Menschen, die da alle mit verwünscht gewesen waren. Da wurde auch die schwarze Prinzessin ganz weiÃ, und die weiÃe, die nicht lebendig und nicht tot war, erwachte nun aus ihrem Zauberschlafe und wurde wieder frisch und lebendig. Ihr gehörte das Schloss; und da heiratete sie den jüngsten Bruder und hielt Hochzeit mit ihm.
Der älteste Bruder aber, als die Hochzeit zu Ende war, zog wieder von da fort nach der Stadt, wo die Prinzessin wohnte, die er von dem Drachen erlöst hatte, und kehrte wieder in dem Wirtshause ein, das dem Schlosse gegenüber lag. Es war aber zu der Zeit gerade ein Jahr vergangen, seit er von hier fort war. Sprach der Wirt: »Das heià ich pünktlich sein; heute vor einem Jahre sah es hier traurig aus, heute aber ist Hochzeit drüben auf des Königs Schlosse, denn die Prinzessin heiratet den alten General, der den Drachen getötet hat. Ein Jahr hatte sie sich ausbedungen, und das ist heute herum.« â »Glaubt Ihr denn wohl, Herr Wirt«, sprach der Junge, »dass mir mein Hund von dem Braten holt, der vor der königlichen Prinzessin auf dem Tische steht?« â »Das kann nicht sein«, meinte der Wirt und verwettete eine groÃe Summe, dass das nicht möglich wäre. Da hängte der Junge dem Hunde die drei Reihen Perlen um, die ihm die Prinzessin gegeben, steckte ihm hinten in das Nackenhaar einen Zettel, worauf er schrieb: »Ich wünsche Braten von der königlichen Tafel zu haben«, und schickte ihn hinüber in das
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