Der große deutsche Märchenschatz
Königs zweitem Kinde auf dem Strome dahergeschwommen, das zogen die drei Kinder auch ans Ufer und brachten es voller Freuden zu ihrem Vater, und weil der ein mitleidiger Mann war, so behielt er das arme hilflose Ding bei sich, und die drei Gärtnerskinder warteten es und spielten mit ihm.
Nachdem, da ein Jahr vergangen war, wurde die Königin zum dritten Male schwanger und hatte wieder ihre Schwester bei sich, und als sie nun ein kleines Mädchen kriegte, da legte ihr das boshafte Weib eine Katze ins Bett und setzte das Kind in einem Kasten auf den Strom, dass es die Wellen hinaustrugen in das weite Land hinein. Aber die drei Gärtnerskinder fingen es auf und brachten es ihrem Vater, der erbarmte sich seiner und behielt es bei sich.
Der König, da er vernahm, dass seine Frau zum dritten Male ein Tier zur Welt gebracht hatte, ward seines Zornes nicht mehr Meister, lieà die arme Königin greifen und sie in einem Turm lebendig vermauern, sodass sie vor Hunger bald umkommen musste.
Eine Zeit danach begab es sich, dass die drei Gärtnerskinder krank wurden und starben, die Königskinder aber wuchsen und wurden schön und stark, und der Gärtner setzte sie zu seinen Erben ein.
Da sie nun einstmals in ihrem Garten spazieren gingen, so kam ein alter Mann vorbei, der redete sie an und sprach: »Wisst ihr, was euch zu eurem Glücke noch fehlt?« â »Nein!«, sprachen die Kinder, »was sollte uns noch fehlen; wir haben es ja hier so gut.« Da sprach der alte Mann: »Drei Dinge fehlen euch noch:
Der Vogel der Wahrheit,
Das Wasser des Lebens
Und der Apfel Sina,
die sind es, die euch noch fehlen, dass ihr ganz glücklich seid, und zu finden sind sie auf einem hohen Berge; wenn da einer hinaufkommt, so fängt es an zu donnern und zu blitzen und die Erde bebt, und wenn der, welcher die drei Dinge holen will, sich umsieht, so wird er in einen Stein verwandelt.«
Da hob der älteste Knabe an und sprach: »Nun habe ich weder Ruhe noch Rast, bis ich den Vogel der Wahrheit, das Wasser des Lebens und den Apfel Sina gefunden und erlangt habe. Hier in diesen Baum stoà ich mein Messer; wenn das rostig wird, so bin ich tot und komme nie mehr zurück.« Damit nahm er Abschied von Bruder und Schwester, stieà sein Messer in den Baum und zog fort in die weite Welt hinein.
Lange Zeit warteten die Kinder, dass ihr Bruder wiederkomme, aber er kam und kam nicht, und als sie nach dem Messer sahen, so war es rostig geworden, und da konnten sie sich wohl denken, dass ihr Bruder in einen Stein verwandelt war.
Da sprach der zweite Knabe: »Ich lasse meinen Bruder nicht im Stich, es mag kommen wie es will.« Damit nahm er Abschied von seiner Schwester, stieà auch ein Messer in den Baum, dass sie daran erkennen könnte, ob er lebendig wäre oder tot, und zog aus, seinen Bruder aufzusuchen.
Das Mädchen wartete lange Zeit vergeblich, dass ihr Bruder wiederkäme, aber er kam und kam nicht, und als sie einmal nach dem Messer sah, so war es auch rostig geworden, wie ihrem ältesten Bruder seins. Da fing sie bitterlich zu weinen an und sprach: »Nun sind doch meine beiden Brüder gewiss in Steine verwandelt; aber ich lasse sie nicht im Stich, es mag kommen wie es will«, und machte sich auf den Weg, ihre Brüder aufzusuchen.
Sie musste erst viele Meilen gehen, bis sie endlich an den Berg kam, wo der Vogel der Wahrheit, das Wasser des Lebens und der Apfel Sina zu finden waren. Da faltete sie ihre Hände und betete erst, und da sie nun den Berg hinanstieg, fing es plötzlich an zu donnern und zu wetterleuchten und die Erde bebte, doch stieg sie getrost, ohne hinter sich zu schauen, bis zum Gipfel, wo der Baum stand mit dem Apfel Sina, und ein Brunnen floss, daraus das Wasser des Lebens quoll. Nachdem sie den Apfel gepflückt und von dem Wasser geschöpft hatte, wollte sie wieder fortgehen, da rief der Vogel der Wahrheit: »Vergiss meiner nicht! Vergiss meiner nicht!« Da nahm sie den Vogel auch mit sich, den sie beinahe ganz vergessen hätte.
Auf dem Berge lagen aber viele viele Steine, die begoss das Mädchen mit dem Wasser des Lebens, und da wurden sie auf einmal lebendig und waren auch des Mädchens Brüder dabei, und es entstand da, als das Mädchen noch immer mehr Steine mit dem Wasser begoss, ein groà Gewühl von Menschen, die zogen nun alle in Scharen singend den Berg hinab.
Die beiden Brüder und ihre Schwester gingen nun
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