Der Grosse Eisenbahnraub: Roman
sagte Harranby. »Ist es eigentlich bekannt, daß Bill ein Spitzel ist?«
»Vielleicht.«
»Zum Teufel, Sie mit ihrem ewigen ›Vielleicht‹. Weiß man’s, oder weiß man’s nicht?«
»Der eine oder andere wird’s vermuten.«
»Aha!« sagte Harranby. »Und trotzdem sucht sich unser schlauer Mr. Simms ausgerechnet diesen Mann aus, um sich fünf Kracher zu besorgen. Ich sage Ihnen, das riecht nach Verlade.« Er starrte mißgelaunt auf die Glut seiner Zigarette.
»Dieser Mr. Simms führt uns an der Nase herum, aber wir müssen ihm auf diesem Weg ja nicht folgen.«
»Ich bin sicher, Sie haben recht«, sagte Sharp, der hoffte, die Laune seines Chefs würde sich bessern.
»Selbstverständlich habe ich recht!« sagte Harranby. »Die wollen uns in den Wald schicken.«
Eine lange Pause. Harranby trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Irgend etwas schmeckt mir hier nicht recht. Wir wollen zu schlau sein. Wir schätzen diesen Simms zu hoch ein. Wir müssen erst mal davon ausgehen, daß er in Greenwich tatsächlich etwas vorhat. Aber was in drei Teufels Namen kann er denn bloß in Greenwich wollen?«
Sharp schüttelte den Kopf. Greenwich war eine Hafenstadt, aber sie war nicht so rasch gewachsen wie die größeren Seehäfen Englands. Sie war hauptsächlich wegen der Sternwarte der Marineakademie bekannt, die für die Seeschiffahrt die
»Greenwicher mittlere Zeit« festsetzte.
Harranby zog ein paar Schubladen seines Schreibtischs auf und fing an zu wühlen. »Wo ist das verdammte Ding?«
»Was denn, Sir?«
»Der Fahrplan, der Fahrplan«, sagte Harranby. »Ah, da haben wir ihn schon.« Er zog ein schmales bedrucktes Faltblatt heraus. »London & Greenwich Railway … Donnerstag … Ah. Donnerstag verläßt ein Zug den London Bridge-Bahnhof um elf Uhr fünfzehn. Nun, was folgt daraus?«
Sharps Augen leuchteten plötzlich auf. »Unser Mann will seine Pistolen bis um zehn, damit er noch Zeit hat, zum Bahnhof zu kommen und den Zug zu erreichen.«
»Genau«, sagte Harranby. »Nach allen Gesetzen der Logik fährt er also tatsächlich am Donnerstag nach Greenwich. Und wir wissen auch, daß es später für ihn keinen Zweck mehr hat.« Sharp sagte: »Was ist mit den Pistolen? Will fünf auf einmal kaufen!«
»Passen Sie mal auf«, sagte Harranby, der allmählich warm wurde, »wie Sie sehen, können wir durch logische Schlußfolgerungen herausfinden, daß er wirklich die Waffen braucht. Und daß er den Kauf auf die letzte Minute verschoben hat – was bei oberflächlicher Betrachtung höchst verdächtig ist –, muß irgendeinen logischen Grund haben.
Es lassen sich mehrere solche Gründe denken. Es ist denkbar, daß seine anderen Pläne zur Beschaffung der Pistolen durchkreuzt worden sind. Oder vielleicht hält er den Ankauf von Waffen für so gefährlich – was ja unstreitig der Fall ist, zumal ja jeder weiß, daß wir für Hinweise auf illegale Waffenkäufe gut zahlen –, daß er ihn deshalb bis zum letzten Augenblick aufschiebt. Es mag noch andere Gründe geben, von denen wir nichts ahnen. Der genaue Grund ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist nur, daß er diese Waffen für irgendein Verbrechen in Greenwich braucht.«
»Bravo!« Sharp heuchelte Begeisterung.
Harranby warf ihm einen unfreundlichen Blick zu. »Seien Sie kein Dummkopf«, sagte er. »Die Hauptfrage ist immer noch ungeklärt. Was gibt’s in Greenwich denn bloß zu stehlen? «
Sharp schwieg. Er starrte auf seine Schuhspitzen und hörte, wie Harranby ein Zündholz anstrich, um sich eine neue Zigarette anzustecken.
»Noch ist nichts verloren«, sagte Harranby. »Die Grundsätze deduktiver Logik können uns noch immer weiterhelfen. So wird das Verbrechen zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Raub sein. Wenn es schon seit Monaten geplant ist, müssen die Verbrecher von festen Gegebenheiten ausgehen, die sich Monate im voraus absehen lassen. Da ist nichts improvisiert, da ist alles geplant.«
Sharp starrte noch immer auf seine Schuhspitzen.
»Nein, nein«, fuhr Harranby fort. »Hier ist nichts dem Zufall überlassen. Wir können weiter folgern, daß diese langwierige Planungsarbeit auf eine Beute von beträchtlicher Größenordnung abzielt. Wir haben es mit einem schweren Verbrechen zu tun, bei dem viel auf dem Spiel steht. Ferner wissen wir, daß unser Freund etwas mit dem Meer oder einem Hafen zu tun hat. Folglich können wir unsere Anstrengungen auf die Frage beschränken, was es in Greenwich gibt, was unseren …«
Sharp
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