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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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ordneten ihr Unglück, ihre Armut und ihre Verzweiflung in ihr Leben und ihre Orte ein, als gehörten sie als unumstößliches Gesetz dazu. Sie waren ohne Kraft, sie änderten sich nicht, weil sie an keine Änderung glaubten und weil sie sich keine Änderung vorstellen konnten. Sogleich kam es ihm vermessen vor, daß er sich seine Wahrnehmungen erklärte. Er glaubte im nächsten Augenblick auch schon nicht mehr an seine Erklärung. Sich etwas zu erklären, war nur eine Methode, sich zu beruhigen. Aber der Wagenheber auf der Fahrbahn hatte etwas Beunruhigendes an sich. Er schien ihm wie eine mächtige Drohung. Und im nächsten Augenblick wußte er, daß er ihn an Carsons Tod erinnerte. Er würde Mehring anrufen. Er mußte ihn anrufen. Er bezahlte und trat auf die Straße. Gaslampen die Straße entlang. Ein weißes Schild mit der Aufschrift in schwarzen Buchstaben: GASLIGHT REALTY . Auf einmal schluchzte Haid auf. Er wußte nicht, warum er schluchzte. Er hatte getrunken, war voll Angst und Verzweiflung. Vielleicht war er in einer zu schlechten Verfassung gewesen, als er Christine wiedergesehen hatte, denn er konnte sich nicht erklären, warum ihn ihr Anblick so getroffen hatte. Plötzlich vermißte er seine Brille. Er glaubte, sie nicht aufgesetzt zu haben. Gleich darauf bemerkte er den Irrtum und erschrak darüber, daß er sich eingebildet hatte, keine Brille aufgesetzt zu haben. Er berührte einen dunkelgrünen Holzzaun. Wieder schluchzte er auf. Dann stieg er die Steinstufen zur Haustür hoch und sperrte die Glastüren auf. Kaum hatte er die zweite aufgesperrt, als ihm Romy und Puffer kläffend entgegengestürzt kamen. Haid verscheuchte sie mit einer Geste, aber die Hunde liefen ihm nach und bellten wie verrückt. Haid drehte sich um, da er die Hunde beruhigen wollte, als er sah, wie eine Tür geöffnet wurde und ein blasser, junger Mann im Schlafrock herauskam. Sein Haar war wirr und sein Blick war glasig. Offensichtlich war er betrunken. Er blickte Haid neugierig an, ohne auf ihn zuzugehen, und fragte in gebrochenem Deutsch, ob er es mit Mr. Haid zu tun habe. »Ich bin Jerry Jakubowski«, sagte der Mann. Er steckte seine Hände in die Taschen des Morgenmantels und ging langsam in sein Zimmer zurück.
     
     
7
     
     
    Haid packte seinen Koffer aus und lauschte. Unter seinem Zimmer befand sich das Zimmer von Jakubowski, und Haid konnte ihn auf und ab gehen hören. Er legte seine Brille auf die Kommode. Die Hunde hatten aufgehört zu kläffen. Er versuchte das Fenster zu öffnen, konnte es aber nicht. Sein Hals schmerzte ihn weniger. Er ging nochmals zum Fenster hin und versuchte es zu öffnen. Diesmal gelang es ihm. Unter seinem Fenster stand ein ausgedienter Kinderwagen. Die Schritte in Jakubowskis Zimmer waren verstummt. Haid ging zurück zum Bett, setzte sich und stützte seinen Kopf in die Hand. Wenn er die Augen schloß, sah er Mehring vor sich, vor dem Pazifik stehend mit zerzaustem Haar, O’Maley beim Spiel und Kapra mit einer Flasche Budweiser Bier auf der Terrasse, er sah Friederike in der gestreiften Leinenbluse, dann sah er seine Frau beim Bügeln in der Küche und schließlich Mr. Jakubowski im Morgenmantel …
 
 
8
     
     
    Um zehn Uhr erwachte er. Hastig wusch er sich im rosa und gold gekachelten Badezimmer, rasierte sich vor einem Spiegel, der gerahmt und mit Glühbirnen versehen war, wie Spiegel in den Schminkgarderoben von Theatern. Sein Hals schmerzte ihn. Als er in sein Zimmer zurückkehrte, fand er ein Tablett mit dem Frühstück vor der Tür. Im Badezimmer hatte er in einer Hausapotheke ein Fläschchen Aspirin entdeckt. Er hatte dem Fläschchen drei Tabletten entnommen, die er jetzt mit einem Schluck Kaffee hinunterspülte. Draußen fuhr ein Polizeiauto mit heulender Sirene vorbei. Er ging hinunter in das Wohnzimmer, wo Christine soeben in einen roten Ledermantel schlüpfte.
    »Ich wollte schon ohne dich gehen, ich dachte, du schläfst noch …« Sie kam auf ihn zu und küßte ihn auf die Wange. »Ich hatte Halsschmerzen und hab ein paar Aspirin genommen«, sagte Haid.
    »Hast du Fieber? Laß deine Stirn fühlen …«
    »Ich habe kein Fieber«, antwortete Haid, »nimmst du die Hunde mit?«
    Christine lachte und sagte, die Hunde müßten auf das Haus aufpassen.
     
     
9
     
     
    Als sie die Treppe zur Untergrundbahnstation hinunterstiegen, fiel Haid Jakubowski ein, und er erzählte Christine, daß er ihm begegnet war. »War er betrunken?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Er war gestern

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