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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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seiner Brusttasche steckte ein seidenes Taschentuch, und sein Seidenschlips hing aus dem Sakko. Haid blieb ruhig stehen. Er fühlte keinen Schmerz, er fühlte auch nicht sich selbst. Es war ihm, als würde ein anderer jede Bewegung für ihn tun. Er erinnerte sich an ein irrwitziges Bild, eine Auslage, in der auf Mahagoniholz ein Jagdgewehr mit Patronen gelegen war und ein Satz fiel ihm ein, den er gedacht hatte, als er die Patronen gesehen hatte: DIE WÜRDEN GUT IN MEINEN KOPF PASSEN. Er war damals ziellos herumgegangen, seine Frau hatte ihn verlassen, und er hatte mit dem Gedanken gespielt, sich zu töten. Dann hatte er daran gedacht, den Hund des Rechtsanwalts zu töten, und schließlich war er nichts anderes mehr gewesen als ein gedemütigter Mensch, der alles getan hätte, um seine Frau zur Rückkehr zu überreden. Der Portier des Golden Key Motels, ein schmächtiger, blasser Mann mit einem zynischen Gesicht und grauen Augen, stellte den Koffer und die Reisetasche neben ihn und schob ihn in ein Taxi. Er blickte ihn kalt und voller Verachtung an, während er ihn in das Auto schob und die Tür hinter ihm ins Schloß warf. Er mußte die Szene beobachtet haben, auf die Straße gelaufen sein und ein vorbeifahrendes Taxi gestoppt haben. Haid war noch immer so benommen, daß er automatisch in die Tasche griff und dem Portier einen Dollar anbot. »Verschwinden Sie«, sagte der Portier, zog seinen Kopf aus dem geöffneten Fenster zurück, und Haid sah ihn vom anfahrenden Taxi aus auf den Philippino zutreten, Passanten standen unbeteiligt herum, und der Philippino wich langsam wie eine gefährliche Schlange zurück. Haid steckte den Dollar ein, sah den anderen Arm, den er um den Koffer geschlungen hielt und dachte: »Dieser lächerliche Arm, dieser lächerliche Arm.« Er wußte jetzt, daß er im Hotelzimmer niemals Selbstmord begangen hätte. Er hatte gelernt, mit den Selbstmordgedanken zu leben. Er wußte, wann sie kamen, und wenn er verzweifelt war, hatte er stets genug Kraft empfunden, um sich zu widersetzen. Aber jetzt, während er im Taxi saß und sich in Sicherheit zu fühlen begann, war ihm, als gerate sein Denken in einen Sog. Die Nichtigkeiten waren es, die es ihm plötzlich leicht erscheinen ließen, sich umzubringen: Die Schweißtropfen auf der Stirn des Taxichauffeurs, der Schmutz unter den Fingernägeln, die abgesessenen Polsterbezüge, ein Buick, der mit geöffneten Türen vor einer Texaco-Tankstelle stand und die Geräusche der Düsenjets, die vom Flugplatz immer deutlicher zu hören waren. Er lehnte sich zurück und dieses Zurücklehnen kam ihm unnatürlich vor. Es kam ihm unnatürlich vor, wie er dasaß, so als spiele er sich nur selbst. Er dachte an Carson und ihm war, als denke er absichtlich daran, um eine Rolle zu finden. Es war ihm, als ob in ihm alles abgestorben sei. Es war ihm völlig gleichgültig, was mit Carson geschehen war und was mit ihm geschehen würde, falls man ihn verdächtigte. Ja, es kam ihm vor, als habe er sich ertappt, wie er sich eine Komödie vorspielte.
     
     
2
     
     
    Als Haid am späten Abend in New York landete, schien es ihm sinnlos, sich irgend etwas zu erwarten oder zu erhoffen. Ich bin nur eine Hülle, dachte er. Er zog sein Notizbuch heraus und bemerkte im selben Augenblick eine Negerin, die neben ihm stand und ihm einen neugierigen Blick zuwarf. Haid konnte ihr starkes Parfum riechen. Sein Blick fiel auf ihre dunkelroten Fingernägel, ihre feuchten Augen, ihre weißen Zähne und das schöne schwarze Haar, und er empfand eine wehmütige Sehnsucht, als sei er schon alt und dächte über verpaßte Gelegenheiten nach.
     
3
     
     
    Mit einem der gelben Taxis, die vor dem Flugplatz standen, fuhr er nach Brooklyn. Auf den Gehsteigen liefen Papierfetzen. Haid lachte auf, und der Fahrer drehte sich erschrocken um. Der Wagen fuhr jetzt schneller zwischen den unverputzten Ziegelbauten dahin, deren Fenster unbeleuchtet oder mit Vorhängen verhängt waren. Horkheimer hatte von der Nichtigkeit des Einzelnen gesprochen. Die NICHTIGKEIT DES EINZELNEN, der durch die Dunkelheit fährt, dachte Haid, an halbabgerissenen, riesigen Wohnhäusern vorbei, an verrotteten Geschäften, die sich mit geschlossenen Eisenrolläden absicherten, an Gaslaternen mit flackerndem Licht, an nackten Ziegelwänden mit schwarzen Feuerleitern, Steintreppen, die zu Haustüren führten, wie er sie von Filmen her kannte. Alles war dunkel, traurig, schmutzig. Die breiten Straßen ohne Menschen, der menschenleere

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