Der grosse Horizont
Park, an dem er jetzt vorüberfuhr und eine unbeleuchtete, meterlange Plakatwand schienen ihm unentwegt seine Verlassenheit und seine Nichtigkeit vorzuführen. Haid fühlte, daß sein Hals beim Schlucken schmerzte. »Ich habe eine merkwürdige Logik entwickelt, alles auf mich zu beziehen«, dachte er im selben Augenblick. Ein Negerkind lief den Gehsteig entlang, ein Stück weiter standen zwei Schwarze und rauchten. An der nächsten Ecke war ein ausgeschlachtetes Autowrack abgestellt. Dadurch, daß Haid bemerkt hatte, daß er alles auf sich bezog, nahm er das Autowrack jetzt wahr, als hätte er es in einem Film gesehen. Es kam ihm immer stärker vor, daß er in einem dunklen Kino saß und sich alles nur vorspielen ließ. Auf der Glasscheibe, die ihn vom Fahrer trennte, sah Haid jetzt ein gelbes Etikett mit der Aufschrift: JESUS CHRIST SUPERSTAR. Er dachte an Carson und an O’Maley. Er hegte immer mehr den Verdacht, O’Maley habe ihn erpressen wollen. Wie konnte er es auch sonst wagen, ihn um eine so große Geldsumme zu bitten, obwohl er ihn erst seit kurzem kannte? Er mußte damit rechnen, daß O’Maley früher oder später in New York auftauchte und nach ihm suchte. Haid warf einen melancholischen Blick aus dem Fenster. Das Taxi fuhr am Prospect Park vorbei und dahinter wurden die Häuser mit einem Mal gepflegter, die Ziegelfassaden waren weiß gestrichen, hinter den Fenstern brannte Licht und die Gardinen schimmerten weiß durch das Fensterglas.
4
Christine saß mit zwei winzigen, kreischenden Hunden im Wohnzimmer. Manchmal hatte Haid den Eindruck, daß sie berechnend war. Immer wenn beim Atmen ihre Nasenflügel vibrierten, ging etwas Frigides von ihr aus. Aber vielleicht deutete Haid dies auch nur falsch, vielleicht war es Unsicherheit und ein Anflug von Ärger, da Haid ihr schweigsam gegenübersaß und gegen sein automatisches Lächeln ankämpfte. Er fühlte dieses Lächeln wie einen Fremdkörper im Gesicht und vermochte es nur mit Anstrengung einzustellen. Haid hatte Christine auf der Universität kennengelernt. Er hatte einmal mit ihr geschlafen, aber es war so flüchtig gewesen, daß er nur wenig Erinnerungen daran hatte. Er konnte sich an ihr verzücktes Gesicht erinnern und an ihre zärtliche Umarmung, doch er konnte jetzt nicht glauben, daß es einmal Wirklichkeit gewesen war. Vor zehn Jahren hatte sie in London einen jungen Amerikaner kennengelernt, den sie ein Jahr später geheiratet hatte. Haid wußte nur seinen Namen: Jerry Jakubowski. Jakubowski war Abteilungsleiter in der CHASE MANHATTAN BANK, und wie Haid sah, mußte er eine Menge Geld verdienen.
Die Hündchen, eine Mischung aus Zwergpudel und Pekinesen, sprangen aufgeregt bellend von Christines Arm und umkreisten Haid. Christine sah lächelnd zu, wie Romy mit winziger Zunge Haids Hand leckte, während Puffer zitternd unter dem Tisch stand und bellte.
5
Dann war Haid plötzlich aufgebrochen. Er hatte seine Koffer in das Zimmer getragen, das Christine ihm gezeigt hatte, einen hellen Raum mit geblümten im Biedermeierstil gehaltenen Vorhängen und honiggelben Parketten. Aber Haid war so benommen gewesen, daß er die Koffer auf den Boden gestellt und gesagt hatte: »Ich bin so benommen von Sehnsüchten und Ängsten, von Wünschen und Befürchtungen, daß ich nichts sehe.« Er hatte die Empfindung, daß er Christine zu lieben begann. Er wollte sich jedoch nicht verlieben, und während er die Koffer zu Boden gestellt hatte, war ihm eingefallen, daß er, wenn er sich einer Frau näherte, immer den Verliebten spielte. Auch wenn es nur darum ging, mit einer Frau zu schlafen, fühlte er sich verpflichtet, ihr in übertriebenem Maße seine Wertschätzung zu bezeugen. Einerseits lag das an der Angst, abgewiesen zu werden (wenn er den Verliebten spielte und abgewiesen wurde, konnte er noch immer den guten Freund spielen), andererseits wünschte er, sich den Schein der Ehrfurcht zu geben. Selbst während des Beischlafs fühlte er sich genötigt, seine Rolle weiterzuspielen. Erst wenn er die Frau gewöhnt war und aus der Gewöhnung heraus seine Hemmungen fallen ließ und oft auch, wenn er keine inneren Beziehungen zu einer Frau hatte, genoß er es, mit ihr zu schlafen. Außerdem erzeugte er durch seine vorgespielte Verliebtheit Gegenliebe, die ihn störte, da er sich verpflichtet fühlte. Natürlich wehrte sich sein Inneres zu akzeptieren, was ihm so leicht von den Lippen gekommen war. Einige Male war er nicht in der Lage
Weitere Kostenlose Bücher