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Der grosse Horizont

Der grosse Horizont

Titel: Der grosse Horizont Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Roth
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erhalten. Er wandelte die 5 th Avenue hinauf und wartete, daß sein Hals sich bessern würde. War es nicht das beste, abzureisen? – Aber er wußte, daß er nicht abreisen könnte, ohne mit Mehring gesprochen zu haben. Er war jetzt allein, und das war gut für ihn. Er hatte ein paar Tage Zeit, mit sich ins klare zu kommen. Oder vielleicht würde er schon morgen mit sich im klaren sein, und alles würde sich aufklären. Er würde noch eine Woche in New York bleiben und eine neue Freiheit in sich fühlen. Er entdeckte einen gepflegten Laden mit antiquarischen Büchern und kam auf die Idee, nach dem Buch HYPERION zu fragen, das er bei Friederike gesehen hatte.
    Die Welt sei das Medium, worin wir leben, sagte Kierkegaard. Aber dieses Medium erstreckte sich über Sichtbares und Fühlbares, es war alles, was sich im Kopf spiegelte, was sich miteinander verwob, was neu entstand, es war alles, was in den Köpfen der Menschen schwappte und brodelte. Man sprach mit den Menschen und man sprach Tausenderlei in ihnen an, wovon man keine Kenntnis hatte.
     
     
30
     
     
    Ein kleiner Chinese mit Brille saß unter einer eisernen Wendeltreppe, die durch die Decke in das nächste Stockwerk führte. Der Chinese kam leise hervor und suchte – nachdem er Haids Wunsch gehört hatte – sorgfältig die Regale ab. Nein, er bedaure. Er lächelte und beschrieb Haid einen Buchladen am Broadway, wo dieser das Buch unter Umständen finden könnte.
    Haid hatte nicht die Absicht, den Buchladen aufzusuchen. Er bedankte sich und ging. In der vierzehnten Straße verkauften Puertoricaner große, häßliche Phantasieblumen aus Plastik. Ein 30-Jähriger mit hellem Vollbart, einem breiten Schlapphut und violetten Brillengläsern fuhr auf einem kleinen Fahrrad über den Gehsteig wie eine Trickfilmfigur. Haid spazierte durch ein paar Quergassen mit dunklen Lagerhallen. Er kam wieder an der Buchhandlung vorbei, vor der sich jetzt Passanten drängten, die durch die offene Tür in den Laden starrten. Im nächsten Augenblick sah Haid Rauchwolken aus dem Laden dringen und den Gehilfen des Buchhändlers mit einem Kübel brennenden Papiers ins Freie laufen. Der alte Chinese sprang vor den Regalen herum und warf Bücher auf die Straße. Brennende Papierfetzen flogen durch die Luft. Eine verwahrloste Type hob eines der Bücher von der Straße auf, blätterte darin und warf es zurück. Jemand rief, daß die Feuerwehr verständigt worden sei, aber alle schienen das für selbstverständlich zu halten.
     
     
31
     
     
    Zunächst dachte sich Haid, daß es das beste gewesen wäre, wenn er Carsons Zimmer in Brand gesteckt hätte, um alle Spuren seiner Anwesenheit zu vernichten. Er sah die brennenden Vorhänge, das brennende Bett, die brennenden Tapeten, und er sah sich am Fisherman’s Wharf stehen und die Rauchwolke in der Ferne aufsteigen. Dann fiel ihm ein, daß er der letzte Kunde gewesen sein konnte, der das Antiquariat betreten hatte, und daß er sich dadurch verdächtig gemacht haben konnte, den Brand im Antiquariat verursacht zu haben. Natürlich dachte er nicht ernsthaft an diese Möglichkeit, aber er zog es vor zu verschwinden. Es konnte sein, daß man ihn als Zeugen befragte, und damit würde der Stein womöglich ins Rollen gebracht. Ein fetter Kerl mit Bürstenhaarschnitt lief in das Geschäft und versuchte dem Buchhändler zu helfen. Jemand anderer hantierte an einem Hydranten auf dem Gehsteig. Der Brand schien nicht so schlimm zu sein, denn kurz darauf gelang es dem fetten Kerl, ihn mit einer Decke zu ersticken. Der Gestank verbrannten Stoffes und angesengten Holzes machte sich vor der Buchhandlung breit. Natürlich fiel Haid die eigene Buchhandlung ein, und obwohl er nicht besorgt war, beschlich ihn Unbehagen und eine Angst vor dem Unbekannten, das sich in der Zwischenzeit ereignet haben konnte. Er machte sich unauffällig davon, den Brandgeruch in der Nase.
     
     
32
     
     
    Als er die Türe zu seinem Hotelzimmer aufsperren wollte, bemerkte er, daß das Schloß klemmte. Ein Neger im Hemd saugte den Kokosläufer im Korridor. Er kam vorsichtig und neugierig näher, während Haid am Schloß rüttelte. Dann setzte er eine Brille auf, die er aus der Brusttasche seines Hemdes nahm, und beugte sich wortlos zum Schloß hinunter, ohne Haid zu helfen. Er versuchte es erst, nachdem Haid ihm Platz gemacht hatte. Während der Neger es versuchte, hielt er die Augen geschlossen und den Kopf leicht zurückgelehnt. Schließlich rief er ein farbiges Zimmermädchen,

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