Der große Schlaf
Sheriff.
Der Sheriff blickte auf mich, dann auf die Leute am Radkasten.
»Dann also später«, sagte Ohls.
Ein kleiner Mann mit Brille, müdem Gesicht und einer schwarzen Tasche kam die Stufen vom Pier herunter. Er suchte sich ein halbwegs sauberes Fleckchen auf Deck und stellte die Tasche ab.
Dann nahm er seinen Hut ab und rieb sich den Nacken und starrte hinaus aufs Meer, als wüßte er nicht, wo er war und was er da sollte.
Ohls sagte: »Hier ist Ihr Kunde, Doktor. Gestern abend vom Pier gekippt. Zwischen neun und zehn. Mehr wissen wir nicht.«
Der kleine Mann sah sich mürrisch den toten Mann an. Er befühlte den Kopf, betrachtete den Fleck an der Schläfe, bewegte mit beiden Händen den Kopf, betastete die Rippen. Er hob eine schlaffe tote Hand und stierte auf die Fingernägel. Er ließ sie fallen und sah zu, wie sie fiel. Er trat zurück und öffnete eine Tasche und holte einen Block mit Totenschein-Formularen heraus und fing an, über einem Kohlepapier zu schreiben.
»Todesursache vermutlich Genickbruch«, sagte er und schrieb. »Das heißt, daß er nicht viel Wasser im Bauch haben kann. Das heißt, daß er draußen an der Luft jetzt ziemlich fix steif wird. Holt ihn lieber aus dem Wagen, bevor erś ist.
Später vergeht euch der Spaß.«
Ohls nickte. »Wie lange tot, Doktor?«
»Keine Ahnung.«
Ohls sah ihn scharf an und nahm das Zigärrchen aus dem Mund und sah das scharf an. »Nett, Sie kennenzulernen, Doktor. Ein Leichenbeschauer, der mir so was nicht innerhalb von fünf Minuten sagen kann, der reißt mich vom Stuhl.«
Der kleine Mann grinste sauer und steckte seinen Block in seine Tasche und klippte seinen Stift wieder an die Weste.
»Falls er gestern abend was gegessen hat, werde ichś Ihnen sagen – wenn ich weiß, wann er gegessen hat. Aber nicht innerhalb von fünf Minuten.«
»Wie kam er zu dem Fleck – durch den Sturz?«
Der kleine Mann sah sich nochmals den Fleck an. »Das glaube ich kaum. Die Wunde stammt von etwas Stumpfem.
Und sie hat schon subkutan geblutet, als er noch lebte.«
»Totschläger, hm?«
»Sehr wahrscheinlich.«
Der kleine Mann von der Leichenbeschau nickte, griff sich seine Tasche vom Deck und stieg wieder die Stufen zum Pier hinauf. Ein Krankenwagen parkte draußen vorm Stuckbogen rückwärts ein.
Ohls sah mich an und sagte: »Gehen wir. War die Fahrt kaum wert, was?«
Wir gingen über den Pier zurück und stiegen wieder in Ohls´
blaue Limousine. Er bugsierte sie zurück auf die Autostraße und fuhr Richtung Stadt auf der dreispurigen, vom Regen reingewaschenen Bahn, vorüber an niedrig sich wellenden Hügeln von gelbweißem Sand mit rötlichen Moosstufungen. Seewärts kreisten ein paar Möwen und schossen nieder auf etwas in der Brandung, und eine Jacht weit draußen sah aus, als hinge sie im Himmel.
Ohls spannte mir sein Kinn entgegen und sagte: »Kennen Sie ihn?«
»Klar. Sternwoods Chauffeur. Gestern hab ich ihn da draußen exakt diesen Wagen abwitschern sehen.«
»Ich will Sie nicht ausquetschen, Marlowe. Sagen Sie mir nur eins: Hat Ihr Job etwas mit ihm zu tun?«
»Nein. Ich weiß nicht mal seinen Namen.«
»Owen Taylor. Wieso ich das weiß? Dasń Ding. Vor einem Jahr oder so hatten wir ihn wegen einer Entführungsgeschichte eingebuchtet. Hat wohl das scharfe Sternwood-Mädchen, die Junge, nach Yuma hinübergekarrt. Die Schwester ist hinter ihnen her und hat sie zurückgeholt und Owen einlochen lassen.
Tags drauf geht sie zum Bezirksanwalt und läßt ihn den Jungen wieder beim Bundesankläger rausboxen. Sie sagt, der Junge hätte ihre Schwester heiraten wollen und das sicher auch getan, nur die Schwester sah das nicht so recht. Alles, was die wollte, warń Zug durch die Bars und ń Faß aufmachen. Also lassen wir den Jungen laufen, und laus mich der Affe, die stellen ihn prompt wieder ein. ńe Weile später kommt dann aus Washington der Routinebericht mit den Fingerabdrücken, und er hat ńe Vorstrafe in Indiana, versuchter Überfall, vor sechs Jahren. Er ist mit sechs Monaten davongekommen, in genau dem Kreisgefängnis, aus dem Dillinger ausgebrochen ist. Wir benachrichtigen die Sternwoods, und die behalten ihn trotzdem. Wie finden Sie das?«
»Scheint ńe irre Familie zu sein«, sagte ich. »Wissen sie schon von gestern abend?«
»Nein. Ich muß jetzt hinauf zu ihnen.«
»Halten Sie den alten Herrn raus, wennś geht.«
»Warum?«
»Er hat Kummer genug und ist krank.«
»Sie denken an Regan?«
Ich murrte. »Ich sage Ihnen, ich weiß
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