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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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über seinen Rückspiegel, und ich stieg in die Taxe. Wir fuhren um den Block und hielten gegenüber von Geigers Gäßchen, wieder vor einem Hydranten.
    Es waren ein rundes Dutzend Kisten auf dem Lastwagen, als der Mann in Overalls die Drahtnetztüren schloß und die Ladeklappe hochhakte und sich hinters Steuer setzte. »Hinterher«, sagte ich zu meinem Fahrer.
    Der Mann in Overalls ließ seinen Motor aufjaulen, warf einen Blick das Gäßchen rauf und runter und fuhr schnell in der anderen Richtung davon. Er bog links aus der Gasse. Wir desgleichen. Ich hatte den Lastwagen im Blickfeld, wie er ostwärts in die Franklin einbog, und drängte meinen Fahrer, ein bißchen aufzuholen. Er wollte oder konnte nicht. Ich sah den Laster zwei Blocks weiter, als wir zur Franklin kamen. Wir hatten ihn in Sicht bis zur Vine und über die Vine weg und den ganzen Weg bis zur Western hinaus. Hinter der Western sahen wir ihn noch zweimal. Es war eine Menge Verkehr, und der Junge mit den frischen Backen hing zu weit zurück. Das sagte ich ihm auch ganz unverblümt, als der Laster, nun weit vor uns, wieder nach Norden abbog. Die Straße, wo er einbog, hieß Britanny Place. Als wir vor Britanny Place anlangten, war der Laster verschwunden.
    Der Junge mit den frischen Backen machte mir tröstende Geräusche durch die Scheibe, und wir fuhren bei vier Meilen pro Stunde bergan und fahndeten nach einem Lastwagen hinter Büschen. Zwei Blocks weiter oben bog Britanny Place nach Osten und mündete in Randall Place, und zwar mit einer Insel, auf der ein weißes Apartmenthaus stand, mit Front nach Randall Place und der Tiefgarageneinfahrt nach Britanny. An der fuhren wir gerade vorbei, und der Junge mit den frischen Backen meinte noch, daß der Laster doch gar nicht so weit sein könnte, als ich durch den Torbogen der Garage blickte und ihn hinten im Dustern mit abermals offenen Rücktüren stehen sah.
    Wir fuhren vor das Apartmenthaus, und ich stieg aus. Niemand war in der Halle zu sehen, kein Klappenschrank. Ein Holztisch war an die Wand geschoben, daneben hingen Reihen goldfarbener Briefkästen. Ich sah mir die Namen an. Ein gewisser Joseph Brody hatte Apartment 405. Ein gewisser Joe Brody hatte von General Sternwood fünftausend Dollar bekommen, damit er nicht mehr mit Carmen und statt dessen mit einer anderen Kleinen umhertollte. Es konnte derselbe Joe Brody sein. Ich hätte fast darauf gewettet.
    Ich ging um einen Wandknick zum Fuß einer Fliesentreppe und zum Schacht eines automatischen Aufzugs. Das Aufzugsdach war auf gleicher Höhe mit dem Fußboden. Neben dem Schacht war eine Tür mit der Aufschrift »Garage«. Ich machte sie auf und stieg enge Stufen hinab in den Keller. Der automatische Aufzug stand offen, und der Mann in neuen Overalls war heftig am Schnaufen, während er schwere Kisten hineinwuchtete. Ich stellte mich neben ihn und steckte mir eine Zigarette an und sah ihm zu. Das paßte ihm gar nicht.
    Nach einer Weile sagte ich: »Obacht mit dem Gewicht, Kumpel. Er ist nur auf ńe halbe Tonne zugelassen. Wo geht denn das Zeug hin?«
    »Brody, vier-null-fünf«, sagte er. »Verwalter?«
    »Genau. Habt ihr ńe Bank ausgeraubt?«
    Er stierte mich mit blassen, geränderten Augen an.
    »Bücher«, knurrte er. »Hundert Pfund die Kiste, wennś reicht, wo ich gerade meine fünfundsiebzig hochkriege.«
    »Also Obacht mit dem Gewicht«, sagte ich.
    Er zwängte sich mit sechs Kisten in den Aufzug und schloß die Türen. Ich ging wieder die Stufen zur Halle hinauf und hinaus auf die Straße, und das Taxi brachte mich wieder hinunter zur Stadt vor mein Bürohaus.
    Ich gab dem Jungen mit den frischen Backen zuviel Geld, und er gab mir eine zerfledderte Geschäftskarte, die ich ausnahmsweise einmal nicht in den sandgefüllten Tonkrug neben der Bank am Fahrstuhl warf.
    Ich hatte anderthalb Zimmer im sechsten Stock nach hinten.
    Das halbe Zimmer war ein abgeteiltes Büro, so daß das zwei Empfangsräume ergab. Mein Name stand an der Tür des Empfangsraumes, sonst nichts. Diese Tür schloß ich nie ab, für den Fall, daß ein Klient kam und dieser Klient vielleicht Platz nehmen und warten wollte. Ein solcher Klient war da.

11
    Sie trug braungesprenkelten Tweed, ein Männerhemd mit Krawatte, robuste Laufschuhe. Ihre Strümpfe waren so hauchdünn wie tags zuvor, aber sie zeigte nicht soviel Bein. Ihr schwarzes Haar glänzte glatt unter einem braunen Robin-Hood-Hut, der bestimmt seine fünfzig Dollar gekostet hatte und aussah, als hätte ihn eine

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