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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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leichtfertige Hand aus einer Filzunterlage gerupft.
    »Na, Sie stehen also doch auf«, sagte sie und rümpfte ihre Nase über das verblichene rote Sofa, die zwei
    zusammengetragenen harten Sessel, die Netzgardinen, die dringend in die Reinigung mußten, und den Lesetisch im Kinderzimmerformat mit den altehrwürdigen Zeitschriften darauf, die dem Ganzen einen professionellen Anstrich geben sollten. »Ich dachte schon, Sie würden im Bett arbeiten wie Marcel Proust.«
    »Werśń das?« Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund und starrte sie an. Sie sah ein bißchen blaß und mitgenommen aus, aber auch wie ein Mädchen, das sein Päckchen tragen konnte.
    »Ein französischer Autor, ein Connaisseur des Verfalls. Sie werden ihn kaum kennen.».
    »I gitt«, sagte ich. »Kommen Sie ins Boudoir.«
    Sie stand auf und sagte: »Wir sind gestern nicht sehr gut miteinander ausgekommen. Ich war wohl etwas patzig.«
    »Wir waren beide patzig«, sagte ich. Ich schloß die Verbindungstür auf und ließ ihr den Vortritt. Wir betraten den restlichen Teil meiner Suite, der einen nicht mehr ganz jungen rostroten Teppich enthielt, außerdem fünf grüne
    Aktenschränke, drei davon mit kalifornischer Luft gefüllt, sowie einen Reklamekalender, der die Quin-Sisters zeigte, wie sie im rosa Dress, mit seehundbraunem Haar und scharfen, schwarzen Augen so groß wie Eierbriketts auf himmelblauer Fläche herumrollten. Ferner waren da drei Stühle fast aus Nußbaum, der übliche Schreibtisch mit der üblichen Schreibunterlage, Schreibgarnitur, Aschenbecher und Telefon und der übliche quietschende Drehstuhl dahinter.
    »Sie geben nicht viel auf Fassade«, sagte sie und setzte sich an die Kundenseite des Schreibtisches.
    Ich ging zum Briefschlitz und hob sechs Umschläge auf, zwei Briefe und vier Reklamesendungen. Ich hängte meinen Hut übers Telefon und setzte mich.
    »Das tun die Pinkertons auch nicht«, sagte ich. »In dieser Branche läßt sich nicht viel Geld machen, wenn man ehrlich ist. Wenn man eine Fassade hat, dann macht man Geld – oder erwartet welches.«
    »Oh – Sie sind ehrlich?« fragte sie und öffnete ihre Handtasche. Sie fingerte eine Zigarette aus einem französischen Emailetui, zündete sie mit einem Taschenfeuerzeug an, ließ Etui und Feuerzeug wieder in die Tasche fallen und die Tasche offen.
    »Daß es weh tut.«
    »Wie sind Sie dann zu diesem schmierigen Gewerbe gekommen?«
    »Wie sind Sie darauf gekommen, einen Schnapsschmuggler zu heiraten?«
    »Mein Gott, wir wollen nicht schon wieder Streit anfangen.
    Ich habe Sie den ganzen Morgen anzurufen versucht. Hier und in Ihrer Wohnung.«
    »Wegen Owen?«
    Ihr Gesicht spannte sich. Ihre Stimme war sanft. »Armer Owen«, sagte sie. »Sie sind also im Bilde.«
    »Einer von der Distriktsanwaltschaft hat mich mit nach Lido genommen. Er dachte, ich wüßte vielleicht etwas. Aber er wußte mehr als ich. Er wußte, daß Owen Ihre Schwester heiraten wollte – früher mal.«
    Sie paffte schweigend ihre Zigarette und betrachtete mich mit festen, schwarzen Augen. »Es wäre vielleicht gar keine so schlechte Idee gewesen«, sagte sie ruhig. »Er war in sie verliebt. So etwas findet man selten in unseren Kreisen.«
    »Er hatte ein Vorstrafenregister.«
    Sie zuckte die Achseln. Sie sagte nachlässig: »Er hat nicht die richtigen Leute gekannt. Mehr bedeutet doch ein Vorstrafenregister nicht in diesem Land voll Korruption und Verbrechen.«
    »So weit würde ich nicht gehen.«
    Sie schälte sich den rechten Handschuh ab und biß aufs erste Gelenk in ihrem Zeigefinger und sah mich mit festen Augen an. »Ich bin nicht wegen Owen zu Ihnen gekommen. Meinen Sie nicht, daß Sie mir jetzt erzählen könnten, was mein Vater von Ihnen wollte?«
    »Nicht ohne sein Einverständnis.«
    »War es wegen Carmen?«
    »Nicht mal das kann ich sagen.« Ich stopfte meine Pfeife zu Ende und hielt ein Streichholz daran.
    Sie betrachtete einen Augenblick lang den Rauch. Dann sank ihre Hand in die offene Tasche und kam mit einem weißen Umschlag wieder heraus. Sie schmiß ihn über den Schreibtisch.
    »Jedenfalls sollten Sie sich das einmal ansehen«, sagte sie.
    Ich nahm ihn. Die Adresse in Maschinenschrift lautete auf Mrs.
    Vivian Regan, 3765 Alta Brea Crescent, West Hollywood. Die Zustellung war durch Boten erfolgt, und laut Stempel war er 8
    Uhr 35 rausgegangen. Ich öffnete den Umschlag und zog das glänzende 8-mal-11-Foto heraus, das als einziges drin war.
    Es war Carmen, die in Geigers hochlehnigem

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