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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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ihr einen Klaps aufs Hinterteil.
    »Hoch, Engelchen. Sie sehen ja wie ein Pekinese aus.«
    Ich ging zu Brody hinüber und setzte ihm die Automatic aufs Zwerchfell und langte seinen Colt aus seiner Seitentasche. Ich hatte nun alle Waffen, die im Spiel gewesen waren. Ich stopfte sie in meine Taschen und hielt ihm die Hand hin. »Her damit.«
    Er nickte und leckte sich die Lippen, seine Augen waren noch immer verstört. Er holte einen dicken Umschlag aus seiner Brusttasche und gab ihn mir. Im Umschlag befanden sich eine entwickelte Platte und fünf glänzende Kopien.
    »Sind das wirklich alle?«
    Er nickte noch einmal. Ich steckte den Umschlag in meine eigene Brusttasche und wandte mich ab. Agnes saß wieder auf dem Diwan und glättete ihr Haar. Ihre Augen zerfraßen Carmen mit einem grünen Destillat von Haß. Carmen war ebenfalls auf den Füßen und kam auf mich zu, mit ausgestreckter Hand, noch immer kichernd und pfeifenden Atems. Ein bißchen Spucke rann von ihren Mundwinkeln. Ihre kleinen, weißen Zähne blitzten dicht an ihren Lippen.
    »Kann ich sie jetzt haben?« fragte sie mich mit einem schüchternen Lächeln.
    »Ich heb sie für Sie auf. Gehen Sie heim.«
    »Heim?«
    Ich ging zur Tür und sah hinaus. Die kühle Abendluft wehte friedlich durch den Korridor. Keine erregten Nachbarn hingen aus ihren Türen. Eine kleine Pistole war losgegangen und hatte eine Fensterscheibe zerschlagen, aber solche Geräusche bedeuten nicht mehr viel. Ich hielt die Tür auf, nickte Carmen zu. Sie kam mit einem unsicheren Lächeln näher.
    »Gehen Sie heim und warten Sie dort auf mich«, sagte ich besänftigend. Sie hielt ihren Daumen hoch. Dann nickte sie und schlüpfte an mir vorüber in den Gang. Sie berührte im Vorbeigehen meine Wange mit ihren Fingern.
    »Sie passen doch auf Carmen auf, nicht wahr?« sagte sie.
    »Wird gemacht.«
    »Sie sind Klasse.«
    »Was Sie sehen, ist noch gar nichts«, sagte ich. »Ich habe ein tanzendes Bali-Mädchen auf dem rechten Schenkel tätowiert.«
    Ihre Augen wurden rund. Sie sagte: »Sie Schlimmer« und drohte mir mit dem Finger. Dann wisperte sie: »Kann ich meinen Revolver haben?«
    »Jetzt nicht. Später. Ich bring ihn mit.«
    Sie faßte mich plötzlich um den Hals und küßte mich auf den Mund. »Ich mag Sie leiden«, sagte sie. »Carmen mag Sie riesig gern.« Dann lief sie munter wie ein Spatz den Korridor hinunter, winkte mir von der Treppe her zu und rannte die Stufen hinunter und mir aus den Augen. Ich ging zurück in Brodys Wohnung.

16
    Ich ging hinüber zum halboffenen Fenster und sah mir die zerbrochene kleine Scheibe in der oberen Hälfte an. Die Kugel aus Carmens Revolver hatte das Glas wie ein Schlag zerschmettert. Sie hatte kein Loch gemacht. Ein kleines Loch war im Verputz, und ein scharfes Auge mußte es rasch genug finden. Ich zog den Vorhang über die zerbrochene Scheibe und holte Carmens Revolver aus der Tasche. Es war ein Bankerś Special, Kaliber .22, Hohlspitzgeschoß. Er hatte einen Perlmuttgriff, und auf einer kleinen, runden Silberplatte im Kolben war eingraviert: »Carmen von Owen«. Sie machte einfach jeden zum Trottel.
    Ich steckte den Revolver wieder in die Tasche und setzte mich neben Brody und starrte in seine tristen, braunen Augen.
    Eine Minute verstrich. Die Blonde renovierte mit Hilfe eines Taschenspiegels ihr Gesicht. Brody fummelte mit einer Zigarette herum und hechelte: »Zufrieden?«
    »Soweit schon. Warum haben Sie sich Mrs. Regan
    gegrapscht und nicht den alten Herrn?«
    »Den Alten hatte ich schon mal am Wickel. Vor zirka sechs, sieben Monaten. Ich dachte mir, er würde vielleicht so sauer, daß er zur Polizei liefe.«
    »Wie kamen Sie darauf, daß Mrs. Regan ihm nichts erzählen würde?«
    Er dachte einigermaßen sorgfältig darüber nach, während er seine Zigarette rauchte und sein Blick auf meinem Gesicht ruhte. Endlich sagte er: »Wie gut kennen Sie sie?«
    »Ich habe sie zweimal gesehen. Sie müssen Sie sehr viel besser kennen, wenn Sie es sich leisten können, sie mit so einem Foto unter Druck zu setzen.«
    »Sie kommt ganz schön herum. Ich kann mir denken, daß sie ein paar schwache Punkte hat, von denen der Alte nichts wissen darf. Und ich denke mir, daß sie leicht fünf Riesen locker machen kann.«
    »Ein bißchen schwach«, sagte ich. »Aber geschenkt. Sie sind pleite, hm?«
    »Ich warte schon seit einem Monat drauf, daß mein letzter Cent endlich heckt.«
    »Wovon leben Sie eigentlich?«
    »Versicherung. Ich habe meinen Schreibtisch in

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