Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
Vom Netzwerk:
aber nicht ganz.
    Der schwache Glanz seines Glasauges fing das Licht ein und blinkte mir zu. Ich rührte ihn nicht an. Ich ging nicht sehr nahe an ihn heran. Er mußte kalt sein wie Eis und steif wie ein Brett.
    Die schwarzen Kerzen flackerten in der Zugluft der offenen Tür. Tropfen schwarzen Wachses rannen an ihren Seiten herab.
    Die Luft im Zimmer war ekelhaft und unwirklich. Ich ging hinaus und machte die Tür zu und ging zurück zum Wohnzimmer. Der Junge hatte sich nicht gerührt. Ich stand still und horchte nach Sirenen. Die Frage war nur, wie schnell Agnes plauderte und was sie sagte. Wenn sie etwas über Geiger verlauten ließe, müßte die Polizei jeden Augenblick hier sein. Aber vielleicht redete sie auch stundenlang nicht.
    Vielleicht hatte sie sich sogar aus dem Staub gemacht.
    Ich blickte auf den Jungen hinunter. »Willst du dich aufsetzen, Sohnemann?«
    Er schloß die Augen und tat so, als schliefe er gerade ein. Ich ging hinüber zum Schreibtisch und schaufelte mir das maulbeerfarbene Telefon hoch und wählte Bernie Ohls´ Büro.
    Er war da.
    »Hier ist Marlowe«, sagte ich. »Haben Ihre Jungens heute morgen einen Revolver bei Owen Taylor gefunden?«
    Ich konnte hören, wie er sich räusperte, und dann konnte ich hören, wie er das Staunen aus seiner Stimme herauszuhalten versuchte.
    »Das fiele wohl unter die Rubrik Geheime Polizeisache«, sagte er.
    »Wenn ja, dann waren drei leere Hülsen drin.«
    »Woher, zum Henker, wissen Sie das?« fragte Ohls ruhig.
    »Kommen Sie rüber nach 7244 Laverne Terrace, beim Laurel Canyon Boulevard. Ich zeig Ihnen, wo die Kugeln sitzen.«
    »Nur so, hm?«
    »Nur so.«
    Ohls sagte: »Gucken Sie aus dem Fenster, damit Sie mich um die Ecke biegen sehen. Ich dachte schon, Sie wollten mir was verbergen.«
    »Verbergen ist nicht das richtige Wort«, sagte ich.

18
    Ohls stand da und blickte auf den Jungen hinab. Der Junge saß auf der Couch, seitwärts gegen die Wand gelehnt. Ohls blickte ihn stumm an, seine blassen Augenbrauen waren borstig und steif und kräftig wie die Wurzelbürsten, die der Bürstenmacher Fuller immer verkauft.
    Er fragte den Jungen: »Gibst du zu, daß du Brody erschossen hast?«
    Der Junge sagte mit belegter Stimme seine vier
    Lieblingswörter. Ohls seufzte und sah mich an. Ich sagte: »Er muß es gar nicht erst zugeben. Ich habe seine Pistole.«
    Ohls sagte: »Ich wünschte zum Heiland, ich bekäme jedesmal einen Dollar, wenn mir das einer sagt. Was ist daran so komisch?«
    »Es ist überhaupt nicht komisch«, sagte ich.
    »Na, das ist immerhin etwas«, sagte Ohls. Er wandte sich ab.
    »Ich habe Wilde angerufen. Wir fahren jetzt rüber zu ihm und nehmen diesen Strizzi gleich mit. Er kann mit mir fahren, und Sie folgen mir nach, für den Fall, daß er mir ins Gesicht zu treten versucht.«
    »Wie gefällt Ihnen das, was im Schlafzimmer liegt?«
    »Gut gefälltś mir«, sagte Ohls. »Ich bin irgendwie froh, daß der kleine Taylor über den Pier gegangen ist. Ich hätte ihm ungern ins Totenhaus verholfen, nur weil er dieses Stinktier weggeputzt hat.«
    Ich ging zurück ins kleine Schlafzimmer und blies die schwarzen Kerzen aus und ließ sie blaken. Als ich wieder ins Wohnzimmer trat, hatte Ohls den Jungen auf die Füße gestellt.
    Der Junge stierte ihn an mit scharfen, schwarzen Augen in einem Gesicht, das so hart und weiß war wie kalter Hammeltalg.
    »Gehen wir«, sagte Ohls und nahm ihn bei den Armen, als ekelte er sich, ihn anzurühren. Ich machte die Lampen aus und ging hinter den beiden aus dem Haus. Wir stiegen in unsere Wagen, und ich folgte OhlsŔücklicht-Paar die langen Hügelwindungen hinab. Ich hoffte, daß dies mein letzter Trip nach Laverne Terrace gewesen war.
    Taggart Wilde, der Distriktsanwalt, wohnte Ecke Fourth und Lafayette Park, in einem weißen Fachwerkhaus von der Größe eines Straßenbahndepots mit einem roten Sandsteinportal an der einen Seite und ein paar Morgen sanft welligen Rasens nach vorn. Es war eins jener soliden, altmodischen Häuser, die man schickerweise mit allem Drum und Dran in eine neue Umgebung versetzt hatte, als die Stadt sich nach Westen ausdehnte. Wilde entstammte einer alten Familie aus Los Angeles und war wahrscheinlich in diesem Haus geboren worden, als es noch an der West Adams oder Figueroa oder am St. Jamesś Park stand. Es standen schon zwei Wagen auf der Auffahrt, eine große Privatlimousine und ein Polizeiauto mit uniformiertem Fahrer, der rauchend am hinteren Kotflügel lehnte und den Mond

Weitere Kostenlose Bücher