Der große Schlaf
und warf sie in den Wagen. Der Junge kam auf allen vieren hoch und schielte mit weit aufgerissenen Augen. Er hustete und schüttelte den Kopf.
»Du willst doch gar nicht kämpfen«, sagte ich ihm. »Du verschenkst viel zuviel Gewicht.«
Aber er wollte kämpfen. Er schoß auf mich zu wie ein Flugzeug vom Katapult und faßte mit einem Köpfer nach meinen Knien. Ich trat zur Seite und langte nach seinem Hals und nahm ihn in den Schwitzkasten. Er scharrte wie wild im Dreck und kam gerade genug auf die Füße, um mit seinen Händen dahin zu kommen, wo es weh tat. Ich wälzte ihn rum und hievte ihn etwas höher. Ich griff mit meiner Linken mein rechtes Handgelenk und schob meinen rechten Hüftknochen in ihn rein und hatte für einen Moment unsere Gewichte austariert. Es sah aus, als hingen wir im dunstigen Mondlicht, zwei groteske Geschöpfe, deren Füße auf dem Boden scharrten und deren Atem vor Anstrengung keuchte.
Ich hatte jetzt meinen rechten Unterarm an seiner Gurgel mit der Kraft von beiden Armen drin. Seine Füße begannen wie irr zu kratzen, aber er keuchte nicht mehr. Ich hatte ihn in der Mangel. Sein linker Fuß spreizte sich nach einer Seite ab, das Knie wurde schlaff. Ich behielt ihn noch eine halbe Minute im Griff. Er sackte in meinem Arm zusammen, ein enormes Gewicht, das ich kaum halten konnte. Dann ließ ich los. Er plumpste mir vor die Füße, völlig hinüber. Ich ging zum Wagen und holte mir ein Paar Handschellen aus dem Handschuhfach und drehte ihm die Handgelenke auf den Rücken und schnappte die Eisen zu. Ich hob ihn in den Achselhöhlen hoch und schleifte ihn mit Mühe hinter die Hecke und außer Sicht zur Straße hin. Ich ging zum Wagen zurück und fuhr ihn hundert Fuß den Berg hinauf und schloß ab.
Er war noch bewußtlos, als ich zurückkam. Ich schloß die Tür auf, zog ihn ins Haus, machte die Tür zu. Jetzt fing er an zu keuchen. Ich knipste eine Lampe an. Seine Augenlider flatterten, und langsam stellte sich sein Blick auf mich ein.
Ich beugte mich nieder, außer Reichweite seiner Knie, und sagte: »Halt still, sonst kriegst du die gleiche Tracht nochmal und besser. Bleib schön still liegen und halt die Luft an. Halt sie an, bis es nicht länger geht, und wenn du dir dann sagst, daß du Luft holen mußt, daß du schon blau im Gesicht bist, daß dir die Augäpfel rausquellen und daß du unbedingt sofort Luft holen mußt, dann stell dir vor, daß du angeschnallt in dem Stuhl in der sauberen kleinen Gaskammer oben in San Quentin sitzt und daß die Luft, die du holst, obwohl du sie doch um Himmelswillen gar nicht holen willst, überhaupt keine Luft, sondern Cyaniddampf ist. Und so was nennt man heutzutage in unserem Staat humane Hinrichtung.«
»Leck mich ...«, sagte er mit einem sanften, wunden Seufzer.
»Du wirst schon noch den Mund aufmachen, Bruder, täusch dich da bloß nicht. Und du wirst nur das sagen, was wir wollen, und kein Wort, das wir nicht wollen.«
»Leck mich ...«
»Sag das nochmal, und ich leg dir ein Kissen unter den Kopf.«
Er verzog den Mund. Ich ließ ihn auf dem Boden liegen mit zusammengekoppelten Handgelenken auf dem Rücken und einer Wange platt auf dem Teppich und einem tierischen Glanz in dem einen sichtbaren Auge. Ich machte eine weitere Lampe an und trat in die Diele hinter dem Wohnzimmer. Geigers Schlafzimmer schien unberührt. Ich öffnete die jetzt nicht verschlossene Tür des Schlafzimmers gegenüber. Ein schwach flackerndes Licht war im Raum und der Duft von Sandelholz.
Die Aschenkegel zweier Räucherkerzen standen nebeneinander auf einem kleinen Messingtablett auf der Kommode. Das Licht kam von den zwei hohen schwarzen Kerzen in den Leuchtern.
Sie standen auf gradlehnigen Stühlen zu beiden Seiten des Bettes. Geiger lag auf dem Bett. Die zwei fehlenden Streifen chinesischer Stickerei bildeten ein St.-Andreas-Kreuz auf der Mitte seines Körpers und verbargen so das blutverschmierte Vorderteil seiner chinesischen Jacke. Unterhalb des Kreuzes lagen steif und gerade seine Beine im schwarzen Pyjama. Seine Füße steckten in den Pantoffeln mit dicken weißen Filzsohlen.
Oberhalb des Kreuzes waren seine Arme an den Handgelenken übereinandergeschlagen, und die Hände lagen flach an den Schultern, die Handflächen nach unten, die Finger dicht aneinander und gerade ausgestreckt. Sein Mund war geschlossen, das Charlie-Chan-Bärtchen schien so unwirklich wie ein Toupet. Seine breite Nase war zusammengekniffen und weiß. Seine Augen waren fast geschlossen,
Weitere Kostenlose Bücher