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Der große Schlaf

Der große Schlaf

Titel: Der große Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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sie auf seinem Handteller auf und ab hüpfen.
    »Quatsch nich so viel«, sagte er trocken. »Flick die Reifen.«
    »Ich flick sie ja schon, oder nicht?«
    »Na, dann sing keine Arien drüber.«
    »Jaja!« Art schälte sich Regenmantel und Südwester ab und warf beides von sich. Er hievte einen der Reifen auf ein Gestell und riß gewaltsam den Mantel locker. In Null Komma nichts hatte er den Schlauch draußen und den Flicken aufgeklebt.
    Noch immer brummig kam er herüber zur Wand, griff sich einen Luftschlauch neben mir, pumpte den Reifen auf, bis er voll war, und ließ das Mundstück des Luftschlauches gegen die weißgekalkte Wand knallen. Ich stand und sah zu, wie die Rolle eingewickelter Münzen in Caninos Hand tanzte. Der Augenblick intensiver Gespanntheit war vorüber. Ich wandte den Kopf und sah dem hageren Mechaniker neben mir zu, wie er den luftprallen Schlauch hochwarf und mit ausgebreiteten Armen auffing. Er sah ihn sich mürrisch an, schielte nach einer großen Blechtonne voll dreckigen Wassers in der Ecke und grunzte.
    Sie mußten hübsche Teamarbeit geleistet haben. Ich bemerkte keinerlei Zeichen, keinen bedeutungsvollen Blick, keinen Wink, der etwas zu besagen schien. Der hagere Mann hielt den prallen Schlauch hoch in die Luft und sah ihn starr an.
    Er drehte den Körper halb herum, machte einen langen schnellen Schritt und wuchtete mir den Schlauch über Kopf und Schultern, ein gelungener Wurf.
    Er sprang hinter mich und lehnte sich schwer auf das Gummi. Sein Gewicht zerrte an meiner Brust, preßte mir die Oberarme fest an die Seiten. Ich konnte die Hände bewegen, aber bis zur Pistole in meiner Tasche kam ich nicht.
    Der braune Mann kam fast tänzelnd durch den Raum auf mich zu. Seine Hand schloß sich fest um die Geldrolle. Er trat auf mich zu ohne einen Laut, ohne Ausdruck. Ich beugte mich vorwärts und versuchte Arts Füße vom Boden zu hieven. Die Faust, mit der schweren Rolle belastet, sauste durch meine vorgehaltenen Hände wie ein Stein durch eine Staubwolke. Ich empfand die lähmende Sekunde des Schocks, in der die Lichter tanzten und die sichtbare Welt mir entglitt, obwohl sie immer noch da war. Er schlug noch einmal zu. Mein Kopf war ohne Gefühl. Der grelle Strahl wurde greller. Da war nichts weiter als hartes, schmerzendes, weißes Licht. Dann kam Dunkelheit, durch die sich etwas Rotes schlängelte gleich einer Mikrobe unterm Mikroskop. Dann war auch nichts mehr hell oder rot, nur noch Dunkelheit und Leere und rauschender Wind und große Bäume, die niederfielen.

28
    Es schien, als wäre da eine Frau, und sie saß neben einer Lampe, genau dort, wohin sie gehörte, in gutem Licht. Ein anderes Licht schien so grell auf mein Gesicht, daß ich die Augen wieder schloß und die Frau durch die Wimpern zu betrachten versuchte. Sie war so platinblond, daß ihr Haar wie eine silberne Fruchtschale gleißte. Sie trug ein grünes Strickkleid mit einem großen, weißen Kragen. Eine glänzende Handtasche mit scharfen Kanten stand zu ihren Füßen. Sie rauchte, und ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit stand groß und hell neben ihrem Ellbogen.
    Ich bewegte etwas den Kopf, vorsichtig. Er schmerzte, aber nicht stärker, als ich erwartete. Ich war verschnürt wie ein bratfertiger Truthahn. Handschellen hielten meine Handgelenke hinter mir zusammen, von ihnen aus ging ein Strick zu meinen Fußgelenken und dann über das Ende der braunen Chaiselongue, auf der ich lag. Der Strick verschwand hinter der Chaiselongue. Ich bewegte mich genug, um sicherzugehen, daß er festgebunden war.
    Ich ließ diese verstohlenen Bewegungen und schlug die Augen wieder auf und sagte: »Hallo.«
    Der Blick der Frau kehrte von einem fernen Berggipfel zurück. Ihr kleines, festes Kinn wandte sich langsam um. Ihre Augen hatten das Blau von Bergseen. Über uns prasselte noch immer der Regen, leise und fern wie Regen in einer anderen Welt. »Wie fühlen Sie sich?« Es war eine weiche, silbrige Stimme, die zu ihrem Haar paßte. Es war ein winziges Klingeln darin, wie von Glöckchen in einem Puppenhaus. Ich fand den Gedanken albern, während ich ihn noch dachte.
    »Großartig«, sagte ich. »Jemand hat mir eine Tankstelle auf die Kinnlade gepflanzt.«
    »Was haben Sie erwartet, Mr. Marlowe – Rosen?«
    »Nur einen schlichten Fichtensarg«, sagte ich. »Ganz ohne Bronze- oder Silbergriffe. Und zerstreuen Sie bitte nicht meine Asche über dem blauen Pazifik. Ich mag Würmer lieber. Haben Sie schon gewußt, daß Würmer Zwitterwesen

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