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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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sie über seine weißen Socken zog.
    Das Taxi kam planmäßig an, aber er hatte den starken Verkehr auf der Golden Gate Bridge nicht vorausgesehen; es war fast Mittag, als sie schließlich das Büro von Gerner, Foss und Meyer erreicht hatten.
    Er fand Jerry Miller an seinem Schreibtisch, schlafend, den Kopf in den auf dem Tisch verschränkten Armen ruhend.
    »Wach auf!« sagte Paul.
    »Einbrecher!« schrie Jerry und fiel in seinem Stuhl nach hinten.
    »Einbrecher ist schon richtig. Habt ihr Lehm geschnuppert?«
    Jerry schüttelte den Kopf.
    Paul nahm die Vase mit den künstlichen Blumen in die Hand und roch Gin. »Ein Glück«, sagte er, »du bist betrunken!«
    »Ich bin betrunken«, wiederholte Jerry.
    »Dann können wir miteinander reden …« Paul gab ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Kopf und setzte sich auf eine Schreibtischecke.
    »Wie spät ist es?« Jerry rieb sich die Augen.
    »Drei Minuten nach zwölf.«
    »Erstaunlich.«
    »Ganz bestimmt.«
    »Erstaunlich, wie Gin auf einen wirkt, wenn man eine Zeitlang keinen mehr getrunken hat.«
    Paul zog eine Augenbraue hoch. »Gehst du so mit meinem Konto um? Und würdest du um Gottes willen vielleicht die Augen aufmachen?«
    »Das kann ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Dein Anzug glänzt dermaßen, daß mir die Augen weh tun.«
    Paul zog augenblicklich seine Sonnenbrille heraus. »Hier!«
    »Dankeschön.« Beim zweiten Versuch gelang es Jerry, die Brillenbügel über die Ohren zu schieben. »Du gehst nicht zum Tamalpais rüber, oder doch?«
    »Ich war gestern dort.«
    »Gut. Bleib hier. Geh nicht nochmal hin!«
    »Wieso nicht?«
    »Weil … es wird da eine Polizeirazzia geben.«
    »Was meinst du, eine Polizeirazzia? Wovon redest du überhaupt?«
    »Heute abend.« Jerry brachte es fertig, eine paar Sekunden aufrecht zu sitzen, ehe er in seinem Stuhl wieder zurückplumpste. »Die kalifornische Highwaypatrouille … direkt nach der Oper, wenn alle oben auf dem Berg sind, wird sie unten sein. Mit anderen Worten, die Hitze wird die Schneekinder schmelzen.«
    »Das glaubst du doch selbst nicht!«
    »Oh ja, oh ja, oh ja, bestimmt! Ich weiß es aus bester Quelle. Ein Polizist in Zivil aus North Beach, der zum Frühstück keine Gin-Martinis gewöhnt ist.«
    »Aber warum? Weshalb heute abend?«
    »Weiß ich nicht, ’s ist wohl politisch, denke ich. Du weißt, wo doch jetzt bald die Wahlen sind und der Gouverneur durch deinen und meinen Freund aus dem Norden von den Titelseiten verdrängt wird.« Er nahm die Brille ab und schüttelte den Kopf. »Scheiße. Ich werde wieder nüchtern.«
    »Bist du dir dessen völlig sicher, Jerry?«
    »Ich hab dir doch gesagt, dieser Polizist außer Dienst –«
    »Ja, das hast du gesagt.« Paul fing an, auf und ab zu gehen. »Das macht die Sache komplizierter.«
    »Mach dir keine Gedanken drum. Was kann schon passieren? Die Bullen werden eben ein paar Schneekinder einsperren, um zu zeigen, daß sie noch stark und mächtig sind. Sie werden sie vor dem nächsten Morgen wieder rauslassen. Weißt du noch, was in San Rafael passiert ist, als sie diese Gören nicht freigeben wollten? Und die Schneekinder die Polizeistation weiß angestrichen haben?«
    »Es ist Stier, um den ich mir Sorgen mache …«
    »Gestern abend hab ich am Telefon mit ihm geredet. Zu dumm, daß ich –«
    »Er ist hier?« rief Paul. »Du hast mit ihm gesprochen?«
    »Nun, mal langsam! Er war noch in Kanada. Er wollte wissen, ob seine Bilder rechtzeitig für das neue Album hier angekommen sind. Er sagte, er könnte dich telefonisch nicht erreichen. Ich konnte es auch nicht. Was hast du gemacht, die Verbindung unterbrechen lassen?«
    »Allerdings. Bei Gott, hab ich jemals …« Paul strich sich mit den Fingern durchs Haar und setzte sich wieder auf die Schreibtischecke. »Du hast nicht zufäl lig eins bei dir, ja? Ein Bild von Stier?«
    Jerry zog eine Schublade auf, holte ein Hochglanzfoto heraus und übergab es Paul; der faßte mit beiden Händen danach.
    Er war weiß gekleidet. Das Foto war offenbar im hellen Sonnenlicht gemacht, es war äußerst kontrastreich – sehr dunkle und kleine Augen, das Haar silbrig weiß und schimmernd, wirr und mit ein paar über die große Stirn fallenden Locken. Die breite Nase, das stumpfe Kinn, die massigen Schultern, das alles ließ ihn wie einen nachdenklichen Bullen wirken.
    »So, das ist Stier«, sagte Paul ruhig.
    »Der Moby Dick des Musikgeschäftes«, ergänzte Jerry.
    »Was ist das für ein Ding aus weißem Pelz, das er

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