Der große Stier
dem Fußboden einen Lederbeutel heraus und stopf te eine reichliche Prise Tabak in den gedrungenen Pfeifenkopf.
»Weiß ich nicht.« Paul beschloß, sich morgens zu waschen, und schlüpfte zwischen seine Bettdecken. »Ich arbeite an einem Projekt.«
»Regierungsprojekt?«
»Nein. Man könnte es Festival nennen.«
»Ach du Schreck! Wollen Sie das wirklich noch mal versuchen?« Der alte Mann brannte sich ein Streichholz an und kicherte.
»Was noch mal versuchen?«
»Da is mal ’n Vogel, so um 61 nun von draußen hergekommen und hat versucht, ’n ›Festival‹ zu machen. Dawson-City-Goldrausch-Festival ham sie’s genannt, mieteten den alten Palace Grande, hatten Tänzerinnen und alles, was dazugehört.«
»Ist das wahr …«
»Das war’s erste, letzte und einzige ›Festival‹, was wir hatten. Die Regierung hat es abgelehnt, und wir standen rum wie Pik Sieben und bohrten in der Nase.«
»Das Festival, das ich vorbereite, wird … draußen sein. Ich bin nur hier, um mich ein bißchen umzusehn.«
Der Alte grunzte und sog an seiner Pfeife, »’s gibt nix zu sehn hier. Fast alles abgebrannt. Das alte Blockhaus, in dem Robert Service gewohnt haben soll? Zum Henker, er hat nie drin gewohnt. Da waren nur Hühner drin.«
»Wer ist Robert Service?«
»Noch nie von Robert Service gehört? Der den ›Knochenharten Kuno‹ und all die anderen Gedichte über den Goldrausch geschrieben haben soll?«
»Anscheinend wissen Sie eine Menge über diese Stadt …« Paul stützte sich auf einen Ellenbogen.
»Scheint so. Hab mich mein ganzes Leben lang hier rumgetrieben. Wissen Sie, wie Bombay-Peggy zu ihrem Namen gekommen ist? Die Leute sagen, weil sie ’n Puff in Bombay, In-di-en, gehabt hätte. Nein, das war’s nicht. Sie hatte bis vor dem Zweiten Weltkrieg ’n Puff in China, und die Amerikaner haben sie evakuiert, und sie war so fett, daß sie nicht durch die Tür vom Flugzeug kam; da haben die Amis sie durch die bomb bay, ’n Bombenschacht, reingehoben.«
Paul lachte.
»Schon mal vom Schwarzen Mike gehört?«
»Lassen Sie mich mal was fragen.« Paul langte nach einer Zigarette.
»Haben sie mal einen gekannt, der Stier hieß? Schreibt sich S-T-I-E-R …«
»Stier, Stier. Ich glaub, da war mal ’n Deutscher hier, der so hieß, ziemlich lange vor dem Ersten Weltkrieg. Hatte ’ne Indianerfrau.«
»Kannten Sie die?«
»Nö. Versuche immer, mich bloß um meine eig’nen Angelegenheiten zu kümmern.«
»Wissen Sie, was aus denen geworden ist?«
»Gestorben.«
»Ist das alles?«
»Is das nich genuch?«
»Sie hatten einen Sohn. Richard hieß er.«
»Kann schon sein. Danach müßten Sie Flossie fragen. Sie hat zu der Zeit in der Schule unterrichtet, vielleicht weiß sie was. Ich denk mal nach …«
»Wo wohnt Flossie?«
»’n kleines Haus unten in der Front Street, gleich nebenan, wo das Flora Dora früher war. Ich weiß noch, wie sie das Haus für die olle Flossie gebaut haben. Sie hatten alles Bauholz vonner alten Keno; das is mal’n verdammt stolzer Kahn gewesen, kann ich dir sagen.«
Paul hörte nicht zu. Er erinnerte sich an Adriannes Lachen im Flugzeug. Adriannes warme Berührung, als sie zwischen den Tischen tanzten. Adriannes Augen. Vielleicht war sie noch wach. Oder sie schlief. Vielleicht stand sienackt am Fenster. Allein. So tuend, als ob …
Paul zündete ein Streichholz an und sah auf seine Uhr, um sich zu vergewissern, daß es Morgen war. Sieben Uhr. Er scherzte ein wenig mit sich selbst, daß er vor der Sonne aufstände, als er sich im Dunkeln anzog und die Treppe hinuntereilte. In der Bar saßen kaffeetrinkende und kartenspielende Männer, und irgendwoher kamen der süße Rauch und die zischenden Geräusche bratenden Specks; er schluckte seinen Hunger hinunter und trat hinaus in die schwarze Stille der Straße.
Er war noch keine fünfzig Meter weit getrottet, da mußte er schon anhalten und die dünne Eisschicht abschälen, die sich durch den gefrorenen Schweiß auf seiner Haut gebildet hatte. Er hatte gehört, daß Speichel gefriert, ehe er den Erdboden erreicht. Er räusperte sich, zielte auf seine Stiefelspitzen und zerstörte eine Sage.
Von einem Mann in einer grauen Pelz-Parka ließ er sich den Weg zur Front Street beschreiben und war froh, als er hörte, daß es bis zu Flossies Haus keinen Häuserblock weit war, in der Richtung auf die Ufer des Yukon River zu. Als er vor ihrer Tür stand und anklopfte – der Laut wurde durch seine dicken Pelzfäustlinge gedämpft –,
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