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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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unverhüllter elektrischer Birnen, die über einer altmodischen Bar aus geschnitztem Eichenholz hingen, sah Paul an kleinen Tischen der Wand entlang bärtige Männer Karten spielen. Zwei dicke Frauen tanzten zusammen vor einer Musikbox. An der Wand hingen gekreuzte Gewehre, Hirsch- und Elchgeweihe, neben der Bar waren zerbrochene Stoßzähne und fossile Elefantenzähne aufgestapelt.
    »Die Bewohner von Dawson benutzen keinen Lehm«, sagte Adrianne und fächelte sich den Rauch aus dem Gesicht. »Sie gehen nie nach draußen.«
    »Dem Geruch nach«, sagte Paul, »glaube ich, daß du recht hast.«
    Das Abendessen wurde von einer Siwash-Indianerin aufgetragen, deren Gesicht nicht das kleinste Lächeln zeigte. Die Passagiere saßen an einem langen Holztisch, aßen Maisbrot und schnitten sich selbst Scheiben von einem frischgebackenen, etwa 1,20 Meter langen Königslachs ab.
    »Die Indianer fangen den Lachs mit Fischrädern«, sagte Adrianne. »Das ist interessant zu sehen. Das Rad hat Ruderschaufeln, durch die es sich im Fluß dreht. Die Ruderschaufeln heben die Fische heraus und lassen sie über eine hölzerne Rinne auf den Strand gleiten. Vielleicht möchtest du morgen gern so ein Fischrad sehen?«
    Paul gab keine Antwort. Er beobachtete einen der Passagiere, der dasaß und das Essen auf seinem Teller anstarrte, lächelte, und ab und zu die Hände erhob, um über seinen Handflächen tief einzuatmen.
    Nach dem Abendessen tranken sie noch mehr Rum, tanzten und saßen zwischendurch an einem Tisch in der Ecke, von dem aus sie schläfrig den Kartenspielern zusahen. Es war kurz nach Mitternacht, als sie die schmale Treppe hinaufstiegen. Oben stand der Mann, der ihnen auch an der Bar die Getränke eingeschenkt hatte.
    Paul hatte bisher noch gar nicht gemerkt, wie stattlich er war. Seine Nackenmuskeln wölbten sich, daß sein Kopf würfelförmig wirkte. Er hatte so breite Schultern, daß seine Hemdsärmel eben über die Ellbogen reichten, und er hielt die dünne Liste in den Händen, als ob er sie fressen wollte.
    »Sie müssen unterschreiben, damit Sie ein Zimmer kriegen«, sagte er gähnend.
    »Aber sicher«, meinte Paul. »Möchten Sie, daß ich es gleich bezahle?«
    »Wenn Sie wieder gehen. Ein Zimmer oder zwei?«
    »Ähm – zwei.« Paul spürte, daß Adrianne ihn beobachtete.
    »Ist nur ein Zimmer frei. Das kann dann die Dame nehmen, Sie können noch mit in das Zimmer unten am Ende des Vorraums.« Er wartete, bis Paul seine Unterschrift hingekritzelt hatte, klappte die Liste zu und stapfte schwerfällig die Treppe hinunter.
    »Ich nehme an, daß dein Schlüssel in der Tür steckt«, sagte Paul.
    Adrianne nickte.
    »Na«, meinte er und sah von einem Ende des Vorraums bis zum anderen, »ich glaube, es ist besser, wenn wir etwas Schlaf kriegen.«
    »Hoffentlich gefällt dir dein Zimmergenosse«, sagte Adrianne.
    »Hoffen wir’s.«
    »Wenn nicht, dann könntest du ja in mein Zimmer kommen. Und wir könnten ›So-tun-als-ob‹ spielen.« Sie berührte den Ärmel seiner Parka.
    »Gute Nacht, Mrs. Stier«, sagte Paul und zwang sich zu einem Lächeln.
    »Gute Nacht!« Sie wandte sich rasch ab von ihm, öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und schloß sie hinter sich.
    »Ich bin doch ein Vollidiot!« sagte Paul zu sich selbst, als er auf die Tür am Ende des Vorraums zuging. Der verletzte Blick ihrer Augen hatte ihn tief verwundet, und sein Körper spannte sich vor Reue. Zur Strafe stellte er sich vor, was er hinter der Tür seines Zimmers finden würde: einen alten Kerl, hundertfünfzig Jahre alt, zahnlos und mit Tabakflecken im Bart, der nach Sirup roch und sich dauernd die knotigen Beine durch seine rotwollene Unterwäsche hindurch kratzte.
    Er hatte recht, außer daß die Unterwäsche des alten Mannes gelb war.
    »Der Geschäftsführer hat gesagt, ich könnte hier schlafen«, erklärte Paul. »Tut mir leid, daß ich Sie störe.«
    »Das macht mir nix aus. Nimm das Bett am Fenster.« Der alte Mann klopfte seine Pfeife an der Kante seines Bettes aus und langte nach seiner Hose, die auf dem Fußboden lag. »Ich rauch jetzt meine letzte Pfeife, willst du sie auch mal?«
    »Danke, nein.« Paul fing an, sich auszuziehen.
    »Nettes Jäckchen, das du da anhast. Ist nicht leicht, ’n Silberfuchs zu schnappen.«
    »Es gehört einem Freund von mir.«
    »Neu hier, was?«
    »Ja.«
    »Von der Regierung?«
    »Nein. Ich bin Masochist.«
    »Wahaftich? Wie lange bist du schon hier?« Er hol te sich aus dem Durcheinander seiner Kleidungsstücke auf

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