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Der große Stier

Der große Stier

Titel: Der große Stier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Sanborn
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Bild ha be. Die übrige Klasse habe ich, die kleinen Schlingel … Wissen Sie, was die gemacht haben? Timmy Casey, Johnnie Henderson, die haben die Gruppe angeführt. Sie haben Richard an einen Baum gebunden und ihn alleingelassen, damit er nicht mit den anderen fotografiert werden konnte. Ich hab ihn bis zum Sonnenuntergang nicht mal gefunden. Weil er diese lumpigen weißen Sachen anhatte, schien er einfach in der Umgebung aufzugehen. Wahrscheinlich bin ich fünf- oder sechsmal an ihm vorbeigegangen, ohne ihn überhaupt zu sehen; können Sie sich das vorstellen?«
    »Ja«, sagte Paul und stieß sich vom Tisch ab, »ich kann es mir ganz genau vorstellen.«
     
    Als Paul zum Hotel zurückkehrte, fand er Adrianne allein an der Bar sitzend und strickend. Sie schien von der Taille ab nackt, bis er näher kam und ihre elfenbeinfarbene Stretch-Hose sah. Im Gegensatz dazu war ihre schwarzseidene Bluse am Hals offen und fiel über ihre großen weißen Brüste. Es war eine bestürzende Studie in Schwarz und Weiß, die das Tempo der Kartenspiele verlangsamte und den Barkellner wie gelähmt vor ihr stehen ließ, das gleiche Glas wieder und wieder putzend.
    »Das ist eine gewagte Uniform für einen Mountie«, sagte Paul und setzte sich auf den Hocker neben sie.
    »Guten Tag, Mr. Odeon. Haben Sie einen schönen Spaziergang gemacht?«
    »Es war kalt. Ich hätte an deine Tür geklopft, aber –«
    »Ich weiß. Du wolltest mich nicht stören.«
    Paul beobachtete die gleichmäßige, mechanische Bewegung der Stricknadeln. »Was strickst du da?«
    »Babysachen.«
    »Oh.« Er zog die Kapuze seiner Parka herunter und rieb sich die Hände. »Bis jetzt habe ich noch nie schwarze Babysachen gesehen.«
    »Es ist eine hübsche Abwechslung zu weiß.«
    Paul trommelte mit den Fingern auf die Bar. »Möchtest du etwas trinken?«
    »Heute trinke ich nicht.«
    »Adrianne,.. bist du mir vielleicht böse?«
    »Warum sollte ich böse sein?«
    »Sieh mal. Ich möchte ehrlich sein. Ich bin aus einem bestimmten Grund hierhergekommen. Aus einem sehr wichtigen Grund.«
    »Um Richard zu sehen.«
    »Ja. Etwas, das für mich real war, beginnt sich in Nichts aufzulösen, und ich möchte herausbekommen, weshalb. Ich möchte herausbekommen, was mit deinem Mann passiert ist. Und während ich mich darum bemühe, möchte ich dich nicht verletzen. Möchtest du wissen, wo ich heute morgen gewesen bin?«
    »Wenn du es mir gern erzählen willst.«
    »Ich habe Stiers alte Lehrerin besucht. Sie wohnt ganz in der Nähe, unten am Fluß.«
    »War Richard ein guter Schüler?«
    »Ich habe herausbekommen, warum er immer weiß trägt. Seine Mutter machte ihm die Kleidung aus Bettlaken, und die anderen Kinder in der Schule haben sich dauernd über ihn lustig gemacht, ihn sogar geschlagen. Deshalb wurde weiß so wichtig für ihn, verstehst du? Wenn man wirklich für etwas leidet, dann wird es einem sehr wichtig.«
    Adrianne ließ ihre Strickerei in den Schoß sinken. »Du redest genau so wie du schreibst. Für dich ist alles so logisch.«
    »Nicht alles.«
    »Ich besinne mich darauf, was du für die Schneekinder geschrieben hast … Die beste Prüfung für eine Ehe ist die Fähigkeit, dem Schmerz zu entsagen. Denn wenn zwei Menschen sich nicht lieben, werden sie einander ungewollt verletzen; lieben sie sich, so wird die Verletzung beabsichtigt sein … Das glaubst du wirklich?«
    »Ich glaube, was ich schreibe.«
    »Dann bist du ein Sadist …«
    »Ich glaube nicht, daß man das daraus folgern kann.«
    »Und einmal hast du über einen jungen Kubaner geschrieben, der beim Preisboxen getötet wurde. Du hast geschrieben, Frauen sollten auch boxen, nicht nur Männer. Sie sollten nackt sein und keine Boxhandschuhe tragen. Und sie sollten boxen bis zum Tode. Bist du kein Sadist?«
    »Wie würdest du das nennen, was wir jetzt haben? Ich habe nur darauf hingewiesen, daß ein Preisboxen nicht für die Boxer da ist, es ist für die Zuschauer da. Wenn jemand den überwältigenden Drang hat, zu töten, dann ist es besser, ihn dafür zu bezahlen und ihn jemanden angreifen zu lassen, der die gleiche Neigung hat. Und wenn man den Zuschauern die stärkste Gewalttätigkeit zeigte, so hätte man damit ein stellvertretendes Ventil für Aggressionen. Keine Vergewaltigungen mehr, keine Raubüberfälle mehr – in Rom hat es jedenfalls gewirkt.«
    »Du bringst es mal wieder fertig, die Dinge rein von der Logik her zu interpretieren.«
    »Wie meinst du das?«
    »Deine Logik besorgt das für dich.

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