Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
nicht nur die üblichen zwanzig Dollar. Ich hatte Reiseschecks im Wert von 250 Dollar in das dorthin adressierte Versorgungspaket gepackt, da ich ursprünglich geplant hatte, meine Reise dort zu beenden. Dafür enthielt es weder Lebensmittel noch Wanderutensilien. Nur die Reiseschecks und normale Kleidung – meine verwaschene Lieblings-Levi’s, ein enges schwarzes T-Shirt, einen nagelneuen schwarzen Spitzen-BH und dazu passende Slips. Monate zuvor hatte ich mir vorgestellt, in diesen Sachen das Ende meiner Reise zu feiern und nach Portland zu trampen. Als ich meine Route änderte, hatte ich Lisa gebeten, dieses kleine Paket in ein anderes, normales Versorgungspaket zu packenund dieses nachPortland zu schicken statt zu einem der Haltepunkte, die ich in der Sierra Nevada hatte anlaufen wollen. Ich konnte es nicht erwarten, es – das Paket im Paket – in Empfang zu nehmen und das Wochenende in normaler Kleidung zu verbringen.
Am nächsten Tag kam ich gegen Mittag in Ashland an, nachdem ich mit Freiwilligen des AmeriCorps vom Trail in die Stadt getrampt war.
»Weißt du schon das Allerneueste?«, fragte mich einer von ihnen, nachdem ich in den Van gestiegen war.
Ich schüttelte den Kopf, ohne zu erklären, dass ich seit Monaten von der Welt nichts mitbekam, weder das Neueste noch das Allerneueste.
»Kennst du Grateful Dead?«, fragte er, und ich nickte. »Jerry Garcia ist tot.«
Ich stand auf einem Gehweg in der Stadtmitte und beugte mich vor, um mir ein Porträt Garcias in psychedelischen Farben auf der Titelseite der Lokalzeitung anzusehen. Da ich zu abgebrannt war, um mir das Blatt zu kaufen, las ich den Artikel so gut es ging durch die Plastikscheibe des Zeitungskastens. Es gab einige Stücke von Grateful Dead, die mir gefielen, aber ich hatte nie Kassetten ihrer Live-Auftritte gesammelt, noch war ich der Band durchs ganze Land nachgereist wie einige Freunde von mir, die ihrer Fangemeinde angehörten. Kurt Cobains Tod im Jahr zuvor war mir nähergegangen – sein trauriges und gewaltsames Ende war ein abschreckendes Beispiel dafür gewesen, wohin nicht nur die Exzesse meiner Generation, sondern auch meine eigenen führen konnten. Und trotzdem erschien mir Garcias Tod bedeutsamer, als markiere er nicht nur das Ende eines Augenblicks, sondern einer Ära, die mein ganzes Leben lang gedauert hatte.
Ich ging mit dem Monster auf dem Rücken zum mehrere Blocks entfernten Postamt. Unterwegs kam ich an Schaufenstern vorbei, in denen selbst gemachte Schilder hingen, auf denen WIR LIEBEN DICH, JERRY. RUHE IN FRIEDEN stand. Auf den Straßen wimmelte es von gut gekleideten Touristen, die zum Wochenende in die Stadt strömten, und alternativen Jugendlichen aus der südlichen Pacific-Northwest-Region, die in Gruppen auf den Gehwegen standen und aufgrund der Todesnachricht lebhafter wirkten als sonst. »Hey«, grüßten mich mehrere, als ich an ihnen vorbeikam, und manche setzten noch »Schwester« hinzu. Sie entstammten allen Altersgruppen und trugen Klamotten, nach denen sie irgendwo zwischen Hippie, Anarchist, Punk und flippiger Künstler einzuordnen waren. Ich sah einfach wie eine von ihnen aus – zottelig, braungebrannt und tätowiert –, und ich roch auch wie sie, nur zweifellos noch schlimmer, denn ich hatte seit meiner Dusche auf dem Campingplatz in Castle Crags nicht mehr richtig gebadet, und das war Wochen her. Dennoch fühlte ich mich ihnen nicht zugehörig, niemandem zugehörig, als hätte es mich von einem anderen Planeten und aus einer anderen Zeit hierher verschlagen.
»Hey!«, rief ich überrascht, als ich an einem der mundfaulen Typen vorbeikam, die mit ihrem Pick-up am Toad Lake aufgekreuzt waren, als Stacy und ich dort das Rainbow Gathering suchten. Aber er nickte nur und verzog keine Miene. Anscheinend erinnerte er sich nicht an mich.
Ich erreichte das Postamt und stieß, grinsend vor Vorfreude, die Tür auf, doch als ich der Frau am Schalter meinen Namen nannte, kehrte sie nur mit einem an mich adressierten wattierten Umschlag zurück. Kein Paket. Kein Paket im Paket. Keine Levi’s, kein Spitzen-BH und keine 250 Dollar in Reiseschecks, und auch kein Proviant, den ich für die Wanderung bis zu meinem nächsten Stopp im Crater Lake National Park brauchte.
»Aber es müsste ein Paket für mich da sein«, sagte ich, den kleinen wattierten Umschlag in der Hand.
»Dann müssen Sie morgen noch mal nachfragen«, erwiderte die Frau ungerührt.
»Sind Sie sicher?«, stammelte ich. »Ich meine … Es
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