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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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sie und gab mir die Hand. »Was du tust, nennen wir bei uns eine Wallfahrt machen. Wenn du willst, massiere ich dir die Füße.«
    »Oh, das ist nett, aber das musst du nicht tun«, sagte ich.
    »Ich tue es gern. Es wäre mir eine Ehre. In der Schweiz ist das so Brauch. Bin gleich wieder da.«
    Sie drehte sich um und steuerte auf den Laden zu. Ich rief ihr noch nach, dass das wirklich zu freundlich sei, aber dann war sie auch schon verschwunden. Ich sah ihren Freund an. Mit seiner Frisur erinnerte er mich an eine Kewpie-Babypuppe.
    »Sie macht das wirklich gern, keine Sorge«, sagte er und setzte sich neben mich.
    Als Susanna eine Minute später wieder auftauchte, hatte sie die Hände vor der Brust zu einer Schale geformt, in der ein wohlriechendes Öl schwappte. »Das ist Pfefferminze«, sagte sie lächelnd zu mir. »Zieh deine Stiefel und deine Socken aus!«
    Ich zögerte. »Aber meine Füße sind in einem ziemlich schlimmen Zustand und schmutzig …«
    »Umso besser!«, rief sie, also gehorchte ich. Bald rieb sie mich mit Pfefferminzöl ein. »Deine Füße sind sehr kräftig«, sagte Susanna. »Wie von einem Tier. Ich spüre ihre Kraft in meinen Händen. Und auch, wie übel zugerichtet sie sind. Wie ich sehe, hast du Zehennägel verloren.«
    »Ja«, murmelte ich und lehnte mich im Gras auf die Ellbogen zurück. Die Lider wurden mir schwer.
    »Die Geister haben mir gesagt, dass ich das tun soll«, sagte sie, während sie ihre Daumen in meine Fußsohlen drückte.
    »Die Geister?«
    »Ja. Als ich dich gesehen habe, flüsterten die Geister mir zu, dass ich dir etwas geben könnte, deshalb habe ich dich mit dem Flugblatt angesprochen, aber dann habe ich begriffen, dass es etwas anderes war. In der Schweiz haben wir großen Respekt vor Menschen, die eine Wallfahrt machen.« Während sie eine Zehe nach der anderen zwischen ihren Fingern knetete, schaute sie zu mir auf und fragte: »Was bedeutet das an deiner Halskette – dass du am Verhungern bist?«
    Genau das war ich in den folgenden Stunden, in denen ich vor dem Laden herumhing. Am Verhungern. Ich war nicht mehr ich selbst. Ich dachte nur noch ans Essen, fühlte mich wie ein hungriges, schlappes Etwas. Jemand spendierte mir einen veganen Muffin, jemand anderes einen Quinoa-Salat mit Trauben. Mehrere Leute sprachen mich bewundernd auf mein Pferde-Tattoo an oder erkundigten sich nach meinem Rucksack. Gegen vier tauchte Stacy auf, und ich schilderte ihr meine missliche Lage. Sie erbot sich, mir Geld zu leihen, bis mein Paket eintraf.
    »Ich versuche es noch mal auf der Post«, sagte ich, da es mir widerstrebte, ihr Angebot anzunehmen, so dankbar ich ihr auch war. Ich kehrte zum Postamt zurück und stellte mich an, sah aber zu meiner Enttäuschung, dass noch dieselbe Frau am Schalter Dienst tat. Als ich an die Reihe kam, fragte ich nach meinem Paket, als wäre ich vor ein paar Stunden nicht schon mal da gewesen. Sie ging nach hinten, kam mit dem Paket zurück und schob es ohne irgendeine Entschuldigung über die Theke zu mir herüber.
    »Dann war es also die ganze Zeit da«, sagte ich, aber sie erwiderte darauf nur, dass sie es beim letzten Mal wohl übersehen haben müsse.
    Ich war zu happy, um mich aufzuregen, als ich, das Paket in der Hand, mit Stacy zur Jugendherberge zurückkehrte. Ich checkte ein und folgte Stacy die Treppe hinauf und durch einen Frauenschlafsaal in eine kleine Kammer direkt unter dem Dach. Darin standen drei Einzelbetten. Eines war für Stacy, eines für ihre Freundin Dee, und das dritte hatten sie für mich reserviert. Stacy machte mich mit Dee bekannt, und wir unterhielten uns, während ich mein Paket aufmachte. Darin lagen meine sauberen alten Jeans, mein neuer BH und die Slips und mehr Geld, als ich seit Beginn meiner Reise jemals bei mir getragen hatte.
    Ich ging in den Duschraum, stellte mich unter die heiße Dusche und schrubbte mich. Ich hatte seit zwei Wochen nicht mehr geduscht, obwohl ich bei Temperaturen zwischen dreißig und vierzig Grad gewandert war. Ich konnte spüren, wie das Wasser Schichten von Schweiß wegspülte, als wären sie eine richtige Hautschicht. Anschließend betrachtete ich mich nackt im Spiegel. Gegenüber dem letzten Mal war ich noch schlanker geworden, und meine Haare waren so hell wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Ich zog den neuen schwarzen BH an, einen Slip, ein T-Shirt und meine Jeans, in die ich mich drei Monate zuvor noch hatte hineinzwängen müssen und die jetzt an mir schlackerten, dann kehrte ich in

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