Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
selbstverständlich halten können? Essiggurken in Gläsern und knusprige Baguettes in Papiertüten, Orangensaft in Flaschen und Sorbets in Bechern, und vor allem das Obst und Gemüse, das so frisch und appetitlich in Kisten lag, dass ich fast davon geblendet wurde. Ich verweilte und sog Gerüche ein – Tomaten und Kopfsalat, Nektarinen und Limetten. Viel hätte nicht gefehlt, und ich hätte etwas in der Tasche verschwinden lassen.
Ich ging in die Drogerieabteilung, quetschte mir die Gratisproben von drei Lotionen in die Hände und rieb mich von oben bis unten damit ein. Die unterschiedlichen Düfte versetzten mich in Verzückung – Pfirsich und Kokosnuss, Lavendel und Mandarine. Ich sah mir die Lippenstiftproben an und legte schließlich einen namens Plum Haze auf, wozu ich eines der umweltfreundlichen, biologischen, aus Recyclingmaterial hergestellten Wattestäbchen benutzte, die daneben in einem medizinisch aussehenden Glasbehälter mit Silberdeckel lagen. Ich tupfte mich mit einem umweltfreundlichen, biologischen, aus Recyclingmaterial hergestellten Papiertuch ab und betrachtete mich in einem runden Spiegel, der auf einem Gestell neben dem Lippenstiftregal stand. Ich hatte mich für Plum Haze entschieden, weil er im Farbton dem Lippenstift ähnelte, den ich in meinem normalen Leben vor dem PCT benutzt hatte, aber jetzt kam ich mir damit wie ein Clown vor, weil mein Mund knallig aus meinem verwitterten Gesicht hervorstach.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte mich eine Frau mit Omabrille und einem Namensschild, auf dem JEN G. stand.
»Nein, danke«, antwortete ich, »ich sehe mich nur um.«
»Dieser Farbton steht Ihnen gut. Er bringt Ihre blauen Augen schön zur Geltung.«
»Finden Sie?«, fragte ich, plötzlich befangen. Ich betrachtete mich noch einmal in dem kleinen runden Spiegel, als ob ich ernsthaft ins Auge fasste, Plum Haze zu kaufen.
»Ihre Halskette gefällt mir auch«, sagte Jen. G. » Starved . Das ist lustig.«
Ich legte meine Hand darauf. »Das soll Strayed heißen. Das ist mein Nachname.«
»Ach so«, sagte Jen G. und trat näher. »Ich habe nicht richtig hingesehen. Das ist lustig zweideutig.«
»Eine optische Täuschung«, sagte ich.
Ich schlenderte durch die Gänge zur Feinkostabteilung. Ich zog eine Serviette aus einem Spender und wischte mir den Plum Haze von den Lippen, dann inspizierte ich das Limonadensortiment. Snapple führten sie zu meinem großen Bedauern nicht, und so kaufte ich mir mit meinem letzten Geld eine aus biologisch angebauten Früchten frisch gepresste Limonade ohne Konservierungsstoffe und setzte mich damit draußen vor dem Laden hin. Ich hatte es so eilig gehabt, in die Stadt zu kommen, dass ich das Mittagessen hatte ausfallen lassen, und so nahm ich einen Eiweißriegel und ein paar alte Nüsse aus dem Rucksack und aß sie. Ich verbot mir daran zu denken, was ich eigentlich hatte essen wollen: einen Cäsarsalat mit gegrillter Hühnchenbrust und knusprigem französischem Brot, das ich in Olivenöl getunkt hätte, dazu eine Cola light und als Nachtisch einen Bananensplit. Ich trank meine Limo und plauderte mit jedem, der mich ansprach: mit einem Typ aus Michigan, der nach Ashland gezogen war, um das hiesige College zu besuchen, und einem anderen, der in einer Band Schlagzeug spielte, mit einer Frau, die Töpferin war und sich auf Göttinnenfiguren spezialisiert hatte, und einer anderen, die mich in einem europäischen Akzent fragte, ob ich am Abend zu der Gedenkfeier für Jerry Garcia ginge.
Sie drückte mir ein Flugblatt in die Hand, das mit »In Erinnerung an Jerry«überschrieben war.
»Sie findet in einem Club in der Nähe der Jugendherberge statt, falls du dort wohnst«, sagte sie. Sie war mollig und hübsch und hatte ihr flachsblondes Haar zu einem lockeren Knoten gebunden. »Wir reisen auch herum«, fügte sie hinzu und deutete auf meinen Rucksack. Ich verstand nicht, wen sie mir »wir« meinte, bis ein Typ an ihre Seite trat. Er war äußerlich das Gegenteil, groß und so hager, dass es fast wehtat. Er trug einen kastanienbraunen Wickelrock, der ihm knapp über die knochigen Knie reichte, und hatte sich rund um den Kopf vier oder fünf Zöpfe in die ziemlich kurzen Haare geflochten.
»Bist du hierhergetrampt?«, fragte der Typ. Er war Amerikaner.
Ich erzählte ihnen vom PCT und meinem Vorhaben, das Wochenende in Ashland zu verbringen. Der Typ reagierte gleichgültig, aber die Frau war begeistert.
»Ich heiße Susanna und komme aus der Schweiz«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher