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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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Als ich endlich neben ihm saß, war ich überhaupt nicht mehr nervös wie noch drinnen im Lokal, als er mich beobachtet hatte.
    »Gut«, antwortete er. Während wir durch die Nacht hinter Ashland fuhren, erzählte er mir von seinem Leben auf der Biofarm, die Freunden von ihm gehörte. Er wohne dort mietfrei und arbeite dafür in der Landwirtschaft mit, sagte er und sah dabei zu mir herüber, das Gesicht leicht von der Armaturenbeleuchtung angestrahlt. Er bog in eine Straße ab, dann in eine zweite, bis ich überhaupt kein Gefühl mehr dafür hatte, wo Ashland lag, was für mich so viel bedeutete wie, wo ich mich im Verhältnis zu meinem Rucksack befand. Ich bereute es, dass ich ihn nicht mitgenommen hatte. Seit Beginn der Wanderung war ich noch nie so weit von ihm getrennt gewesen, und das war ein komisches Gefühl. Jonathan bog in eine Zufahrt ein, fuhr an einem unbeleuchteten Haus vorbei, in dem ein Hund bellte, und folgte einem zerfurchten Feldweg zwischen Mais- und Blumenfeldern, bis die Scheinwerfer über ein großes, kastenförmiges Zelt strichen, das auf einer hölzernen Plattform errichtet war. Dort parkte er.
    »Hier wohne ich«, sagte er, und wir stiegen aus. Es war kühler als in Ashland. Ich fröstelte, und Jonathan legte so selbstverständlich den Arm um mich, als hätte er es schon hundertmal getan. Wir spazierten im Mondschein zwischen Blumen und Mais, sprachen über verschiedene Bands und Musiker, die einer von uns oder wir beide mochten, und erzählten von Auftritten, die wir gesehen hatten.
    »Michelle Shocked habe ich dreimal live gesehen«, sagte Jonathan.
    »Dreimal?«
    »Einmal bin ich durch einen Schneesturm zu ihrem Auftritt gefahren. Das Publikum bestand aus ungefähr zehn Leuten.«
    »Wow«, sagte ich und begriff, dass ich unmöglich meinen Slip anbehalten konnte, wenn ich mit einem Mann zusammen war, der Michelle Shocked dreimal gesehen hatte, ganz gleich wie abstoßend die Haut an meinen Hüften war.
    »Wow«, erwiderte er, und seine braunen Augen fanden im Dunkeln meine.
    »Wow«, sagte ich.
    »Wow«, wiederholte er.
    Wir hatten nur ein Wort gesagt, und trotzdem war ich auf einmal ziemlich verwirrt. Anscheinend redeten wir nicht mehr über Michelle Shocked.
    »Was sind das für Blumen?«, fragte ich und deutete auf das Blütenmeer um uns herum, plötzlich voller Angst, er könnte mich küssen. Nicht dass ich ihn nicht hätte küssen wollen. Es war nur so, dass ich seit über zwei Monaten, seit meinem Besuch bei Joe, niemanden mehr geküsst hatte und dass ich jedes Mal, wenn ich so lange nicht mehr geküsst hatte, davon überzeugt war, dass ich es verlernt hätte. Um den Kuss hinauszuschieben, fragte ich ihn nach seiner Arbeit auf der Farm und seinem Job in dem Club, nach seiner Familie und wo er herkam, wie seine letzte Freundin hieß und wie lange sie zusammen gewesen waren und warum sie sich getrennt hatten, und die ganze Zeit gab er nur einsilbige Antworten und stellte selbst überhaupt keine Fragen.
    Es war mir egal. Seine Hand an meiner Schulter fühlte sich gut an, und dieses Gefühl wurde noch besser, als sie zu meiner Taille wanderte, und zu dem Zeitpunkt, als wir zu dem Zelt auf der Plattform zurückkehrten, wandte er sich mir zu und küsste mich, und ich merkte, dass ich tatsächlich noch wusste, wie es ging, und all die Fragen, die er nicht beantwortet oder nicht gestellt hatte, waren vergessen.
    »Das war wirklich sehr cool«, sagte er, und wir lächelten einander so blöde an wie zwei Leute, die sich gerade zum ersten Mal geküsst haben. »Ich freue mich, dass du mitgekommen bist.«
    »Ich auch«, sagte ich. Ich spürte seine Hand an meiner Taille warm durch den dünnen Stoff meines T-Shirts und wie sie leicht den Bund meiner Jeans berührte. Wir standen zwischen seinem Wagen und seinem Zelt. Das waren die beiden Richtungen, in die ich gehen konnte: entweder allein zurück in mein Bett in der Dachkammer der Jugendherberge in Ashland oder mit ihm in sein Bett.
    »Sieh dir den Himmel an«, sagte er. »All die Sterne.«
    »Er ist wunderschön«, sagte ich, obwohl ich gar nicht in den Himmel guckte. Stattdessen ließ ich den Blick über das dunkle Land schweifen, das mit kleinen Lichtpunkten gesprenkelt war, Häusern und Farmen, die im Tal verstreut lagen. Ich dachte an Clyde, der ganz allein unter demselben Himmel in seinem Truck gute Bücher las. Ich fragte mich, wo der PCT war. Mir fiel auf, dass ich Jonathan gar nichts davon erzählt hatte bis auf das Wenige, was ich ihm am

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