Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
arbeiten, aber morgen sei er um elf fertig, und ob ich nicht Lust hätte, mir die Band anzuhören, die dann spiele, und hinterher mit ihm auszugehen.
»Klar!«, schrie ich, obwohl ich mir wünschte, er hätte es noch einmal wiederholt, nur um seinen Mund wieder an meinem Haar und meinem Hals zu spüren. Er reichte mir seinen Filzstift und gab mir durch Gesten zu verstehen, dass ich ihm meinen Namen auf die Hand schreiben sollte, damit er mich auf die Gästeliste setzen konnte. Cheryl Strayed schrieb ich so sauber wie möglich mit zitternder Hand. Als ich fertig war, las er ihn und reckte die Daumen nach oben , und ich winkte und schwebte wie im Rausch zur Tür hinaus.
Ich hatte ein Date.
Hatte ich ein Date? Ich ging durch die lauen Straßen und dachte noch einmal darüber nach. Vielleicht würde mein Name gar nicht auf der Gästeliste stehen. Vielleicht hatte ich mich verhört. Vielleicht war es lächerlich, zu einem Date mit jemandem zu gehen, mit dem ich kaum ein Wort gewechselt hatte und dessen Sexappeal hauptsächlich darin bestand, dass er gut aussah und Wilco mochte. Klar, ich hatte mich schon aus nichtigerem Anlass mit Männern verabredet, aber diesmal war es anders. Ich waranders. Oder etwa nicht?
Ich kehrte in die Jugendherberge zurück, schlich leise an den Betten vorbei, in denen mir unbekannte Frauen schliefen, und hinauf in die kleine Kammer unterm Dach, in der Dee und Stacy ebenfalls schon schliefen, zog mich aus und schlüpfte ins Bett, in ein richtiges Bett, das heute Nacht erstaunlicherweise mir gehörte. Eine Stunde lang lag ich wach, strich mit den Händen über meinen Körper und stellte mir vor, wie es wäre, wenn Jonathan ihn am nächsten Abend berührte: die Hügel meiner Brüste, meinen flachen Bauch, die Muskeln an meinen Beinen und das krause Haar meiner Scham – das alles schien so weit ganz passabel –, doch als ich an die handtellergroßen Flecken an meinen Hüften kam, die sich anfühlten wie eine Mischung aus Baumrinde und gerupfter Hühnerhaut, da wurde mir klar, dass ich bei dem Date morgen unter keinen Umständen meinen Slip würde ausziehen können. Wahrscheinlich war das auch besser so. Ich hatte meinen Slip weiß Gott schon so oft ausgezogen, dass ich mit dem Zählen nicht mehr nachkam, und mit Sicherheit öfter, als gut für mich war.
Am nächsten Tag versuchte ich mir auszureden, mich am Abend mit Jonathan zu treffen. Ich wusch meine Wäsche, schlemmte in Restaurants, streifte durch die Straßen, beobachtete Leute und fragte mich dabei ständig: Was bedeutet mir dieser gut aussehende Wilco-Fan eigentlich? Und trotzdem stellte ich mir die ganze Zeit vor, was wir miteinander tun könnten.
Ohne dass ich meinen Slip auszog.
Am Abend duschte ich, zog mich an, ging in den Bioladen, legte etwas Plum-Haze-Lippenstift auf und rieb mich mit einer Gratisprobe Ylang-Ylang-Öl ein, bevor ich mich auf den Weg in den Club machte, in dem Jonathan arbeitete. »Ich müsste auf der Liste stehen«, sagte ich zu der Frau am Einlass und nannte ihr meinen Namen, darauf gefasst, zurückgewiesen zu werden.
Wortlos drückte sie mir einen roten Stempel auf die Hand.
Jonathan und ich sahen uns in dem Moment, als ich durch die Tür trat. Er winkte mir von seinem Platz auf einem Podium zu, wo er, unerreichbar für mich, die Lichtanlage bediente. Ich holte mir einen Wein, stellte mich an die niedrige Mauer, wo ich Jonathan kennengelernt hatte, nippte möglichst elegant an meinem Glas und hörte der Band zu. Es war eine ziemlich bekannte Bluegrassband aus der Bay Area. Ein Stück widmete sie Jerry Garcia. Die Musik war gut, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren, denn ich versuchte so angestrengt, einen zufriedenen und lockeren Eindruck zu machen, als wäre ich so oder so in diesen Club gekommen, um mir genau diese Band anzuhören, ob mich Jonathan nun eingeladen hatte oder nicht. Und was noch schlimmer war: Ich wollte weder den Eindruck erwecken, dass ich zu Jonathan hinsah, noch dass ich nicht zu ihm hinsah, aber jedes Mal, wenn ich zu ihm hinsah, sah er zu mir her, und deshalb fürchtete ich, er könnte glauben, dass ich ständig zu ihm hinsah, denn was, wenn er nur zufällig jedes Mal hersah, wenn ich hinsah, also gar nicht die ganze Zeit, sondern immer nur dann, wenn ich hinsah, sodass er sich zwangsläufig fragen musste: Warum sieht mich diese Frau die ganze Zeit an? Also sah ich drei lange Bluegrass-Stücke lang überhaupt nicht zu ihm hin. Beim dritten Stück spielte der Geiger ein
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