Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
speziellen, schnell trocknenden Gewebe und ein einfaches weißes T-Shirt über einem Sport-BH.
Sie gehörten zu den vielen Dingen, auf die ich den ganzen Winter und Frühling hindurch gespart und für die ich in dem Restaurant, in dem ich bediente, wann immer möglich Zusatzschichten eingelegt hatte. Beim Kauf selbst waren sie mir noch nicht fremd vorgekommen. Trotz meiner jüngsten Ausflüge ins hektische Stadtleben war ich doch eher ein Landmensch. Schließlich hatte ich meine Jugend in der Wildnis der Minnesota Northwoods verbracht und ein spartanisches Leben geführt. In den Ferien hatte ich immer in irgendeiner Form mit der Familie gecampt, und dasselbe galt auch für die Reisen, die ich mit Paul, mit Freundinnen oder allein unternommen hatte. Ich hatte hinten in meinem Pick-up geschlafen und unzählige Male in Parks und Nationalforsten kampiert. Jetzt aber, wo ich nur diese Wanderkleidung hatte, kam ich mir plötzlich wie eine Hochstaplerin vor. In den sechs Monaten seit meinem Entschluss, auf dem PCT zu wandern, hatte ich mindestens ein Dutzend Mal in Gesprächen erklärt, warum es sinnvoll sei, diese Reise zu machen, und wie gut ich mich auf diese Herausforderung vorbereitet hätte. Jetzt aber, allein in dem Zimmer in White’s Motel, konnte ich mir nichts vormachen. Ich wusste, dass ich mich auf dünnem Eis bewegte.
»Vielleicht solltest du es vorher mit einer kürzeren Wanderung probieren«, hatte Paul vorgeschlagen, als ich ihm einige Monate zuvor bei einem unserer Gespräche, bei denen es darum ging, ob wir zusammenbleiben oder uns scheiden lassen sollten, von meinem Vorhaben erzählte.
»Wieso?«, fragte ich gereizt. »Glaubst du, ich pack das nicht?«
»Das ist nicht der Punkt«, sagte er. »Es ist nur so, dass du meines Wissens noch nie eine Rucksacktour gemacht hast.«
»Und ob ich schon Rucksacktouren gemacht habe«, erwiderte ich beleidigt, obwohl er recht hatte. Ich hatte zwar schon alles Mögliche unternommen, was meines Erachtens eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Rucksacktour hatte, aber ich war tatsächlich noch nie mit Rucksack und Zelt durch die Wildnis marschiert und hatte dabei im Freien übernachtet. Kein einziges Mal.
Ich habe noch nie eine Rucksacktour gemacht!, dachte ich jetzt ernüchtert und blickte zu meinem Rucksack und den Plastiktüten, die ich aus Portland mitgeschleppt hatte und die Sachen enthielten, die ich noch gar nicht aus ihrer Verpackung genommen hatte. Der Rucksack war waldgrün mit schwarzen Zierstreifen und hatte drei große Innenfächer und zwei dicke Außentaschen aus Netz und Nylon, die wie große Ohren an der Seite saßen. Er stand ohne fremdes Zutun, gestützt von einer einzigartigen Kunststoffablage, die aus seinem Boden herausragte. Dass er stehen konnte und nicht umfiel wie andere Rucksäcke, spendete mir seltsamerweise etwas Trost. Ich ging zu ihm hin und strich über den Deckel, als streichelte ich einen Kinderkopf. Vor einem Monat hatte man mir dringend geraten, den Rucksack wie für meine Wanderung zu packen und damit einen Probemarsch zu unternehmen. Ich hatte es tun wollen, bevor ich aus Minneapolis abreiste, und dann, sobald ich in Portland angekommen war. Aber daraus war nichts geworden. Mein Probemarsch würde also morgen stattfinden – an meinem ersten Tag auf dem Trail.
Ich griff in eine der Plastiktüten und zog eine orangefarbene Trillerpfeife heraus, die auf der Packung als die »lauteste der Welt« angepriesen wurde. Ich packte sie aus, hielt sie an ihrem gelben Trageband in die Höhe und hängte sie mir um den Hals wie ein Trainer. Sollte ich sie beim Wandern etwa so tragen? Das kam mir albern vor, aber ich hatte keine Ahnung. Beim Kauf der lautesten Pfeife der Welt hatte ich nicht darüber nachgedacht, wie auch über so manches andere nicht. Ich nahm sie wieder ab und band sie an den Rahmen des Rucksacks, damit sie mir beim Wandern über der Schulter baumelte. Dort war sie leicht zu erreichen, falls ich sie brauchen sollte.
Ob ich sie brauchen würde?, fragte ich mich verzagt und ließ mich deprimiert aufs Bett plumpsen. Die Abendessenszeit war längst vorüber, aber ich hatte sowieso keinen Hunger vor lauter Bammel. Meine Einsamkeit lag mir wie ein Stein im Magen.
»Jetzt hast du ja endlich, was du wolltest«, hatte Paul vor zehn Tagen beim Abschied in Minneapolis zu mir gesagt.
»Was meinst du damit?«, fragte ich.
»Du bist allein«, antwortete er und lächelte, doch ich konnte nur unsicher nicken.
Ja, das hatte ich gewollt,
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