Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
gar nicht zu reden. Und das war nur die kleinste,simpelste Anschaffung, die ich zu tätigen hatte. Mit dem Rest der Ausrüstung, die ich benötigte, verhielt es sich viel komplizierter, wie mir bei den Beratungsgesprächen mit den Damen und Herren von REI klar wurde, die mir jedes Mal hoffnungsvoll ihre Hilfe antrugen, wenn sie mich vor einer Auslage mit ultraleichten Kochern stehen oder zwischen den Zelten umhertigern sahen. Diese Verkäufer unterschieden sich in Alter, Auftreten und Vorlieben für bestimmte Abenteuertouren, aber sie hatten alle eines gemeinsam: Jeder Einzelne von ihnen konnte sich mit einer Beflissenheit und Ausführlichkeit über die Feinheiten von Ausrüstungsgegenständen auslassen, die mich verblüfften und letztlich auch blendeten. So fragten sie sich besorgt , ob mein Schlafsack auch über eine Reißverschlussleiste mit Klemmschutz und eine klettverschlussfreie Gesichtsabdeckung verfügte, die bei zugezogener Kapuze das Atmen nicht behinderte. Oder zeigten sich darüber erfreut , dass mein Wasserfilter mit einem gefalteten Glasfaserelement zwecks Erhöhung der Filteroberfläche ausgestattet war. Und irgendwie färbte ihr Wissen auf mich ab. Als ich mich endlich für einen Rucksack entschieden hatte – ein Spitzenmodell von Gregory mit einem Außenrahmen, der in punkto Gewichtsverteilung und Beweglichkeit einem Innenrahmen angeblich in nichts nachstand –, war ich mir wie eine Outdoor-Expertin vorgekommen.
Erst als ich jetzt vor der sorgsam zusammengestellten Ausrüstung stand, die sich auf meinem Hotelbett in Mojave türmte, erkannte ich in demütiger Bescheidenheit, dass ich alles andere als eine Outdoor-Expertin war.
Ich arbeitete mich durch den Haufen, drückte, stopfte und zwängte die Sachen in jede freie Ecke des Rucksacks, bis nichts mehr hineinpassen wollte. Proviantbeutel, Zelt, Plane, Kleidersack und den Campingstuhl respektive Isomatte hatte ich von Anfang an mit den Gummispannern außen am Rucksack befestigen wollen, nämlich an den dafür vorgesehenen Stellen am Außenrahmen. Wie sich nun aber herausstellte, mussten auch andere Teile meiner Ausrüstung nach außen wandern, und so fädelte ich die Gummispanner zusätzlich durch die Riemen meiner Sandalen, die Fototasche, den Henkel des Isolierbechers und die Kerzenlaterne. Die Edelstahlkelleklemmte ich am Rucksackgurt fest, und den Schlüsselanhänger, der eigentlich ein Thermometer war, befestigte ich an einem Reißverschluss des Rucksacks.
Als ich fertig war, setzte ich mich, schweißnass von der Anstrengung, hin und betrachtete in aller Ruhe mein Werk. Und dann fiel mir noch eine letzte Sache ein: Wasser.
Mein Entschluss, hier in den Trail einzusteigen, verdankte sich nur dem simplen Umstand, dass ich nach meiner Schätzung ungefähr hundert Tage bis Ashland in Oregon brauchen würde, wo ich die Wanderung ursprünglich beenden wollte, weil ich viel Gutes über die Stadt gehört hatte und mir vorstellen konnte, dort zu bleiben und zu leben. Monate zuvor war ich mit dem Finger auf der Karte nach Süden gewandert, hatte Kilometer und Tage addiert und war am Tehachapi Pass gelandet, wo der PCT den Highway 58 kreuzt, in der Nordwestecke der Mojave-Wüste, unweit der Stadt gleichen Namens. Allerdings war mir erst vor ein paar Wochen klar geworden, dass ich mit meiner Wanderung ausgerechnet in einem der trockensten Abschnitte des Trails begann, einem Abschnitt, in dem es nicht einmal den schnellsten, fittesten und erfahrensten Wanderern immer gelang, an einem Tag von einer Wasseraufnahmestelle zur nächsten zu gelangen. Mir schon gleich gar nicht. Nach meiner Schätzung würde ich für die siebenundzwanzig Kilometer bis zur ersten Wasseraufnahmestelle zwei Tage brauchen, also musste ich entsprechend viel Wasser mitnehmen.
Ich füllte meine Ein-Liter-Flaschen am Waschbecken im Badezimmer und steckte sie in die Netztaschen am Rucksack. Dann packte ich den Wassersack wieder aus, den ich bereits im Hauptfach des Rucksacks verstaut hatte, und füllte ihn mit den zehn Litern, die er fasste. Ein Liter Wasser, so lernte ich später, wiegt ein Kilogramm. Ich weiß nicht, wie viel mein Rucksack an diesem ersten Tag wog, aber ich weiß, dass allein das Wasser zwölf Kilo ausmachte. Und es waren unhandliche zwölf Kilo. Der Wassersack glich einer großen, flachen Wasserbombe und war entsprechend wabbelig. Er flutschte mir aus den Händen, als ich ihn am Rucksack festzurren wollte, und schlitterte über den Boden. Er war mit Gurtbändern
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