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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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Umschlag, das einen von schroffen Felsen umringten Bergsee unter einem blauen Himmel zeigte, schien mir mit einem Schlag die Augen zu öffnen. Ich dachte, ich hätte mir nur die Warterei verkürzt, als ich es herausnahm, aber jetzt hatte ich das Gefühl, dass es mehr gewesen war – ein Zeichen. Ein Zeichen, das mir nicht nur sagte, was ich tun konnte, sondern was ich tun musste.
    Als Aimee und ich in Minneapolis ankamen, winkte ich ihr, als sie in ihre Ausfahrt abbog, fuhr aber an meiner vorbei. Ich machte einen Abstecher zu REI, kaufte The Pacific Crest Trail, Volume I: California und las in meiner Wohnung die ganze Nacht darin. In den folgenden Monaten las ich es ein Dutzend Mal. Ich ließ eine Abtreibung vornehmen, lernte, was man mit getrockneten Thunfischflocken und Puten-Trockenfleisch anstellte, absolvierte einen Auffrischungskurs in Erster Hilfe und übte in meiner Küchenspüle den Umgang mit meinem Wasserfilter. Ich musste mich ändern. Ich muss mich ändern, war der Gedanke, der mich in diesen Monaten der Planung antrieb. Ich musste kein anderer Mensch werden, nur wieder der, der ich einmal war – stark und verantwortungsbewusst, vorausblickend und ehrgeizig, anständig und solide. Und der PCT sollte mir dabei helfen. Beim Wandern würde ich über mein bisheriges Leben nachdenken. Ich würde zu alter Stärke zurückfinden und alles hinter mir lassen, was mein Leben so lächerlich gemacht hatte.
    Aber nun war ich hier, auf dem PCT, und machte mich, wenn auch auf andere Weise, schon wieder lächerlich, indem ich mich am ersten Tag meiner Wanderung in einer Haltung dahinschleppte, die mit aufrechtem Gang immer weniger Ähnlichkeit hatte.
    Nach drei Stunden kam ich an eine der seltenen ebenen Stellen neben einer Ansammlung von Joshuabäumen , Yuccasund Wacholderbüschen und beschloss, eine Pause zu machen. Zu meiner großen Erleichterung stand dort ein großer Felsblock, auf den ich mich setzen und dabei den Rucksack auf dieselbe Art und Weise abnehmen konnte wie in dem Van in Mojave. Froh, von dem Gewicht befreit zu sein, spazierte ich umher, streifte aus Versehen einen Joshuabaum und wurde von seinen stacheligen Blättern aufgespießt. Sofort schoss Blut aus drei Wunden an meinem Arm. Ich holte mein Erste-Hilfe-Set aus dem Rucksack und packte es aus, aber der Wind blies so kräftig, dass sämtliche Pflaster davonflogen. Ich jagte hinter ihnen her, erreichte sie aber nicht rechtzeitig, bevor sie über die Bergkante flatterten. Ich setzte mich auf den Boden, drückte den Ärmel meines T-Shirts gegen den Arm und trank ein paar Schlucke aus der Wasserflasche.
    In meinem ganzen Leben war ich noch nie so erschöpft gewesen. Das lag zum Teil daran, dass sich mein Körper erst noch an die Anstrengung und an die Höhe gewöhnen musste – ich befand mich jetzt auf rund 1500 Metern, also 340 Meter höher als am Startpunkt am Tehachapi Pass. Aber der Hauptgrund war das ungeheure Gewicht meines Rucksacks. Ich betrachtete ihn verzweifelt. Er war die Bürde, die ich zu tragen hatte, das Ergebnis meines lächerlichen Tuns, und doch hatte ich keine Ahnung, wie ich sie tragen sollte. Ich holte meinen Wanderführer heraus, blätterte darin, indem ich die flatternden Seiten gegen den Wind hielt, und hoffte, dass die vertrauten Worte und Karten mein wachsendes Unbehagen zerstreuten. Und dass mich das Buch wie schon in den Monaten der Planung mit seinem freundlichen vierstimmigen Chordavon überzeugte, dass ich es schaffen konnte. The Pacific Crest Trail, Volume I: California enthielt keine Fotos der vier Autoren, aber ich sah sie vor meinem geistigen Auge: Jeffrey P. Schaffer, Thomas Winnett, Ben Schifrin und Ruby Jenkins. Alles gescheite und nette Leute, weise und allwissend. Sie würden mir helfen. Sie mussten.
    Die Verkäufer bei REI hatten mir von ihren eigenen Rucksacktouren erzählt, aber keiner war auf dem PCT gewandert, und ich war nicht auf die Idee gekommen, jemanden ausfindig zu machen, der es getan hatte. Wir schrieben das Jahr 1995, das Steinzeitalter des Internets. Heute gibt es Dutzende Online-Tagebücher von PCT-Hikern und eine unerschöpfliche Fülle von Informationen über den Trail, die zum Teil ständig aktualisiert werden. Aber ich hatte das alles nicht. Ich hatte nur The Pacific Crest Trail, Volume I: California. Das Buch war meine Bibel. Meine Rettungsleine. Das einzige Buch, das ich über den PCT gelesen hatte oder überhaupt übers Wandern.
    Doch als ich jetzt zum ersten Mal, seit ich auf dem Trail

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