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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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Albert knapp. »So lautet die alte Pfadfinderregel, aber in Anbetracht der Hitze und der Trockenheit auf dem Trail in Verbindung mit der extremen Anstrengung können wir froh sein, wenn wir es auf dreimal bringen.«
    »Ja. Ich auch«, sagte ich, obwohl ich während der ärgsten Hitze vierundzwanzig Stunden lang kein einziges Mal gemusst hatte. »Südlich von hier habe ich einen Bären gesehen«, platzte ich heraus, um das Thema zu wechseln. »Einen braunen Bären, obwohl es natürlich ein Schwarzbär war. Aber er sah braun aus. Farblich, meine ich, der Schwarzbär.«
    »Hier in der Gegend sind sie zimtbraun«, sagte Albert. »Von der kalifornischen Sonne gebleicht, nehme ich an.« Er tippte sich an die Hutkrempe. »Wir sehen uns dann oben in Kennedy Meadows, Miss. War mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
    »Vor mir ist noch ein Mann namens Greg«, sagte ich. »Ich habe ihn vor zwei Tagen getroffen, und er hat gesagt, er würde noch dort sein.« Mein Herz tat einen Sprung, als ich Gregs Namen aussprach, und das einzig und allein deshalb, weil er der Einzige auf dem Trail war, den ich kannte.
    »Wir folgen ihm schon eine ganze Weile, deshalb freue ich mich darauf, ihn endlich kennenzulernen«, sagte Albert. »Hinter uns sind noch zwei Kollegen. Die können jeden Augenblick auftauchen.« Er drehte sich um und spähte den Trail entlang in die Richtung, aus der wir gekommen waren. »Zwei junge Burschen namens Doug und Tom, etwa im selben Alter wie ihr beide. Sie sind kurz vor Ihnen losgewandert, ein Stück weiter im Süden.«
    Ich winkte Albert und Matt hinterher, setzte mich und dachte ein paar Minuten über Doug und Tom nach, dann stand ich wieder auf und wanderte los. In den folgenden Stunden legte ich mich so mächtig ins Zeug wie noch nie, denn ich wollte von den beiden auf keinen Fall eingeholt werden, bevor ich in Kennedy Meadows war. Natürlich brannte ich darauf, sie kennenzulernen – aber ich wollte sie als die Frau kennenlernen, die sie abgehängt hatte, und nicht als die, die sie eingeholt hatten. Albert und Matt waren wie Greg an der mexikanischen Grenze eingestiegen. Sie hatten inzwischen reichlich Erfahrung gesammelt und legten jeden Tag über dreißig Kilometer zurück. Aber mit Doug und Tom verhielt es sich anders. Sie waren wie ich erst neulich losgewandert – kurz vor Ihnen, hatte Albert gesagt, und nur ein Stück weiter im Süden. Seine Worte geisterten mir unablässig durch den Kopf, als könnte ihnen die ständige Wiederholung eine zusätzliche und genauere Bedeutung abringen. Als könnte ich ihnen entnehmen, wie schnell oder wie langsam ich im Vergleich zu Doug und Tom wanderte. Als wäre die Antwort auf diese Frage der Schlüssel zu meinem Erfolg oder Misserfolg in dieser Sache, die das Schlimmste war, was ich jemals durchgemacht hatte.
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. Die Wanderung auf dem PCT das Schlimmste, was ich jemals durchgemacht hatte? Ich korrigierte den Gedanken sofort. Meine Mutter sterben zu sehen und ohne sie weiterleben zu müssen, das war das Schlimmste, was ich jemals durchgemacht hatte. Paul zu verlassen und unsere Ehe und mein bisheriges Leben zu zerstören, und zwar einfach nur deshalb, weil ich das Gefühl hatte, es tun zu müssen, auch das war schlimm gewesen. Aber auf dem PCT zu wandern war auf andere Weise schlimm. Auf eine Weise, die allen anderen schlimmen Dingen ein wenig die Spitze nahm. Das war merkwürdig, aber wahr. Und vielleicht hatte ich das irgendwie von Anfang an gewusst. Vielleicht war der spontane Entschluss, den PCT-Führer zu kaufen, ein erster Schritt zur Selbstheilung gewesen, ein erster Versuch, meinen zerrissenen Lebensfaden wiederaufzunehmen und neu zu knüpfen.
    Ich konnte fühlen, wie er sich hinter mir abspulte – der alteFaden, den ich verloren hatte, der neue, den ich spann –, als ich an diesem Morgen wanderte. Im Gehen sah ich gelegentlich die Schneegipfel der High Sierra. Aber ich dachte nicht an diese Gipfel. Vielmehr stellte ich mir vor, wie ich am Nachmittag im Gemischtwarenladen von Kennedy Meadows stand, und malte mir bis ins Kleinste aus, was ich mir zu essen und zu trinken kaufen würde – eisgekühlte Limonade, Schokoriegel und, was ich im normalen Leben nur selten tat, Junkfood. Ich stellte mir vor, wie ich mein erstes Versorgungspaket in Empfang nahm – ein Augenblick, der für mich einen gewaltigen Meilenstein markierte, denn er war der greifbare Beweis, dass ich es zumindest so weit geschafft hatte. Hallo, sagte

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