Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
in Englisch habe, musste ich das ganze Scheißteil ungefähr zehnmal lesen, deshalb weiß ich mehr über sie als nötig.« Sie blickte wieder in den Spiegel und strich sich die Haare zurück. »Bist du zufällig auf dem Weg zum Rainbow Gathering?«
»Nein, ich bin …«
»Du solltest mitkommen. Das ist echt cool. Das Treffen findet dieses Jahr oben im Shasta-Trinity National Forest statt, am Toad Lake.«
»Ich war letztes Jahr beim Rainbow Gathering«, sagte ich. »Da war es in Wyoming.«
»Genau«, sagte sie in diesem gedehnten Ton, in dem Leute immer »genau«sagen. Dann kniff sie mich in den Arm und wünschte mir »Gute Reise«. Auf dem Weg zur Tür rief sie »Rabenkunde!«, drehte sich noch einmal zu mir und meiner Feder um und reckte aufmunternd die Daumen in die Höhe.
Um acht waren Greg und ich in Truckee. Um elf standen wir immer noch in der Hitze am Straßenrand und versuchten, nach Sierra City zu trampen.
»He!«, brüllte ich stinksauer einem vorbeifahrenden VW-Bus nach. In den vergangenen Stunden waren mindestens sechs achtlos an uns vorbeigerauscht. Dass ich von Leuten, die einen VW-Bus fuhren, nicht mitgenommen wurde, empfand ich als besonders empörend. »Scheiß Hippies«, sagte ich zu Greg.
»Ich dachte, Sie sind selber ein Hippie«, erwiderte er.
»Schon. Irgendwie. Aber nur ein bisschen.« Ich setzte mich in den Schotter auf dem Randstreifen und band meinen Schnürsenkel neu, doch als ich fertig war, stand ich nicht wieder auf. Mir war ganz schwummrig vor Müdigkeit. Ich hatte seit anderthalb Tagen nicht geschlafen.
»Sie sollten sich weiter vorn hinstellen und allein trampen«, sagte Greg. »Ich würde das verstehen. Wenn Sie allein wären, hätte Sie schon längst jemand mitgenommen.«
»Nein«, sagte ich, obwohl er natürlich recht hatte – eine Frau allein wirkt weniger bedrohlich als eine Frau in Begleitung eines Mannes. Die Leute wollen einer Frau, die allein ist, helfen. Oder ihr an die Wäsche gehen. Aber wir waren jetzt zusammen, also blieben wir auch zusammen. Eine Stunde später hielt ein Wagen und nahm uns nach Sierra City mit. Es war eine malerische Ortschaft aus weniger als einem Dutzend Holzhäusern in knapp 1300 Metern Höhe, eingeklemmt zwischen dem North Yuba River und den mächtigen Sierra Buttes, die braun in den klaren blauen Himmel im Norden ragten.
Unser Fahrer setzte uns am Gemischtwarenladen in der Ortsmitte ab, einem urigen, nostalgisch anmutenden Haus mit bemalter Veranda, die – der vierte Juli stand vor der Tür – voll von Touristen war, die an Eiswaffeln lutschten.
»Möchten Sie ein Eis?«, fragte Greg und zückte ein paar Dollarscheine.
»Nein. Vielleicht später«, sagte ich in unbeschwertem Ton, um meine Verzweiflung zu verbergen. Natürlich wollte ich ein Eis. Nur traute ich mich nicht, mir eins zu kaufen, weil ich mir dann vielleicht kein Zimmer leisten konnte. Als wir in den kleinen, überfüllten Laden traten, versuchte ich, die Lebensmittel zu ignorieren. Stattdessen stellte ich mich neben die Kasse und sah mir, während Greg einkaufte, die Hochglanzprospekte für Touristen an.
»Die ganze Ortschaft wurde 1852 von einer Lawine ausgelöscht«, sagte ich zu ihm, als er wiederkam, und fächelte mir mit dem Prospekt Luft zu. »Der Schnee auf den Buttes ist abgegangen.« Er nickte, als wäre ihm das bereits bekannt, und leckte an einem Schokoladeneis. Ich drehte mich weg, denn der Anblick war die reine Folter für mich. »Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, aber ich muss mir etwas Billiges suchen. Für heute Nacht, meine ich.« Genau genommen brauchte ich eigentlich eine Gratisunterkunft, aber zum Campen war ich definitiv zu müde. Als ich das letzte Mal geschlafen hatte, war ich noch auf dem Trail in der High Sierra gewesen.
»Wie wär’s damit«, sagte Greg und deutete auf ein altes Holzhaus auf der anderen Straßenseite.
Im Erdgeschoss waren eine Bar und ein Restaurant, im Obergeschoss wurden Zimmer mit Bad auf dem Flur vermietet. Es war erst halb zwei, aber die Frau in der Bar erlaubte uns, früher einzuchecken. Nachdem mein Zimmer bezahlt war, besaß ich noch dreizehn Dollar.
»Wollen wir heute Abend unten zusammen essen?«, fragte Greg, als wir an unseren Zimmern ankamen und vor den benachbarten Türen standen.
»Klar«, antwortete ich und errötete leicht. Ich fühlte mich nicht von ihm angezogen, und trotzdem hoffte ich, dass er sich von mir angezogen fühlte, obwohl ich wusste, wie lächerlich das war. Vielleicht hatte er ja die
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