Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Kondome eingesteckt. Bei dem Gedanken durchlief mich ein Schauer.
»Sie können zuerst, wenn Sie mögen«, sagte er und deutete den Flur hinunter zu dem Badezimmer, das wir uns mit allen Bewohnern unserer Etage teilten. Wie es aussah, waren wir bis jetzt die Einzigen.
»Danke«, sagte ich, schloss die Tür zu meinem Zimmer auf und trat ein. An der einen Wand stand eine abgenutzte, altmodische Kommode mit einem runden Spiegel, an der anderen ein Doppelbett mit klapperigem Nachttisch und Stuhl. Mitten im Zimmer baumelte eine nackte Glühbirne von der Decke. Ich schnallte das Monster ab und setzte mich aufs Bett. Es quietschte, senkte sich ab und wackelte bedenklich unter meinem Gewicht, fühlte sich aber trotzdem herrlich an. Einfach nur auf dem Bett zu sitzen tat so gut, dass ich es kaum aushielt. Der Campingstuhl, der mir auch als Isomatte diente, hatte nicht viel Polsterung zu bieten, wie sich nun herausstellte. In den meisten Nächten auf dem PCT hatte ich tief und fest geschlafen, aber nicht weil ich bequem lag: Ich war einfach zu kaputt gewesen, um mich darum zu scheren.
Ich hätte gern geschlafen, aber meine Beine und Arme starrten vor Dreck, und ich stank beachtlich. Mich in diesem Zustand ins Bett zu legen wäre mir wie ein Verbrechen vorgekommen. Seit der Übernachtung in dem Motel in Ridgecrest vor fast zwei Wochen hatte ich nicht mehr richtig gebadet. Ich ging den Flur entlang zum Badezimmer. Eine Dusche gab es nicht, nur eine große Badewanne mit Klauenfüßen und ein Regal, in dem sich Handtücher stapelten. Ich nahm mir eins und atmete den herrlichen Waschmittelduft ein, dann zog ich mich aus und betrachtete mich in dem Ganzkörperspiegel.
Ich bot einen erschreckenden Anblick.
Ich sah weniger wie eine Frau aus, die seit drei Wochen mit dem Rucksack in der Wildnis unterwegs war, als vielmehr wie eine Frau, die das Opfer eines bizarren Gewaltverbrechens geworden war. Prellungen in allen Farbschattierungen von Gelb bis Schwarz verunzierten Arme und Beine, Rücken und Hintern, als wäre ich mit dem Stock verprügelt worden. Hüften und Schultern waren übersät mit Blasen und Ausschlägen, entzündeten Striemen und dort, wo sich die Haut am Rucksack aufgescheuert hatte, mit dunklen Schorfkrusten. Unter den Prellungen, den Wunden und dem Dreck entdeckte ich ganz neue Muskelstränge, und an Stellen, wo mein Fleisch bis vor kurzem noch schlaff herabgehangen hatte, war es jetzt straff.
Ich ließ Wasser in die Wanne einlaufen, stieg hinein und schrubbte mich mit einem eingeseiften Waschlappen. Innerhalb von Minuten war das Wasser so dunkel von Dreck und Blut, dass ich es ablaufen ließ und die Wanne neu füllte.
Im zweiten Badewasser legte ich mich zurück, so dankbar wie vielleicht noch nie in meinem ganzen Leben. Nach einer Weile untersuchte ich meine Füße. Sie waren übersät mit Blasen und Druckstellen, und zwei Zehennägel waren mittlerweile total blau. Ich betastete vorsichtig einen und stellte dabei fest, dass er ziemlich lose war. Diese Zehe plagte mich seit Tagen, war immer dicker angeschwollen, als wollte sie den Nagel einfach absprengen, aber jetzt tat sie kaum weh. Beherzt riss ich an dem Nagel. Ein kurzer, scharfer Schmerz, und ich hielt ihn in der Hand. Was darunter zum Vorschein kam, war weder Haut noch Nagel, sondern eine durchsichtige, leicht glänzende Schicht von etwas, das aussah wie Klarsichtfolie.
»Ich habe einen Zehennagel verloren«, sagte ich beim Abendessen zu Greg.
»Sie verlieren Zehennägel?«, fragte er.
»Nur einen«, sagte ich mürrisch, obwohl ich wusste, dass wahrscheinlich weitere folgen würden, was nur ein neuerlicher Beweis für meine grenzenlose Dummheit war.
»Dann sind wahrscheinlich Ihre Stiefel zu klein«, sagte er, als die Kellnerin zwei Teller Spaghetti und einen Korb mit Knoblauchbrot brachte.
Ich hatte mir beim Bestellen eigentlich Zurückhaltung auferlegen wollen, zumal ich am Nachmittag fürs Wäschewaschen – ich hatte mir mit Greg eine Maschine geteilt – weitere fünfzig Cent ausgegeben hatte. Doch sobald wir saßen, konnte ich mich einfach nicht beherrschen und machte Greg alles nach – bestellte zum Essen eine Cola mit Rum und sagte auch zum Knoblauchbrot nicht Nein. Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich beim Essen im Kopf meine Zeche zusammenrechnete. Greg wusste bereits, wie unvorbereitet ich die Wanderung auf dem PCT angegangen war. Er brauchte nicht zu erfahren, dass ich mich auch in anderer Hinsicht komplett idiotisch
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