Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Versorgungspaket abholte, und dann auch nur zwanzig Dollar. Greg und ich hatten vereinbart, uns in Sierra City Zimmer zu nehmen, um nach der langen Fahrt eine Nacht durchzuschlafen, aber ich hatte das ungute Gefühl, dass ich mir stattdessen einen Platz zum Campen würde suchen müssen.
Daran war nichts zu ändern. Ich hatte keine Kreditkarte. Ich musste mit dem über die Runden kommen, was ich hatte. Ich verfluchte mich dafür, dass ich nicht mehr Geld in meine Pakete getan hatte, obwohl ich wusste, dass das nicht möglich gewesen wäre. Ich hatte alles, was ich besaß, in die Pakete getan. Ich hatte den ganzen Winter und Frühling über meine Trinkgelder gespart und einen Großteil meiner Habe verhökert, und mit diesem Geld hatte ich den Proviant und die Ausrüstung gekauft, die ich auf dem Motelbett in Mojave ausgebreitet hatte. Außerdem hatte ich Lisa zwei Schecks ausgestellt: einen für das Paketporto und einen zweiten für vier Monatsraten des Studiendarlehens, das ich die nächsten zwanzig Jahre abbezahlen musste, obwohl ich gar keinen Abschluss gemacht hatte. Was nach Abzug dieser Beträge übrig geblieben war, konnte ich auf dem PCT ausgeben.
Ich steckte das Geld wieder ein, knipste die Stirnlampe aus und blickte traurig aus dem Fenster nach Westen. Ich hatte Heimweh, aber ich wusste nicht, ob nach meinem früheren Leben oder nach dem PCT. Am mondhellen Himmel zeichnete sich schwach die dunkle Silhouette der Sierra Nevada ab. Sie sah wieder wie eine unüberwindliche Wand aus, so wie vor ein paar Jahren, als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte, damals, als ich mit Paul darauf zugefahren war, aber ich empfand sie jetzt nicht mehr als unüberwindlich. Ich konnte mich auf ihr vorstellen, in ihr, als Teil von ihr. Ich wusste, wie es war, sie zu Fuß zu durchwandern. Ich würde bald wieder dort sein, wenn ich von Sierra City aus loswanderte. Ich ließ zwar die High Sierra aus – verpasste die Nationalparks Sequoia, Kings Canyon und Yosemite, die Tuolumne Meadows und die Naturschutzgebiete John Muir Wilderness und Desolation Wilderness und vieles andere mehr –, aber dahinter hatte ich immer noch 160 Kilometer Sierra Nevada zu durchwandern, bevor ich die Cascade Range erreichte.
Als der Bus morgens um vier auf dem Busbahnhof in Reno hielt, hatte ich keine Minute geschlafen. Greg und ich mussten bis zur Abfahrt des Busses nach Truckee eine Stunde totschlagen, und so schlenderten wir, übernächtigt und mit den Rucksäcken auf dem Rücken, durch das kleine Casino, das an die Busstation angrenzte. Ich war müde, aber aufgedreht und trank einen heißen Lipton-Tee aus einem Styroporbecher. Greg spielte Blackjack und gewann drei Dollar. Ich fischte drei Fünfundzwanzig-Cent-Stücke aus meiner Tasche, versenkte alle drei in einem Automaten und verlor.
Greg bedachte mich mit einem trockenen Ich-hab’s-dir-ja-gesagt-Lächeln, als hätte er es kommen sehen.
»He, man weiß nie«, sagte ich. »Ich war mal in Las Vegas – nur durchgefahren, vor ein paar Jahren. Da habe ich ein Fünf-Cent-Stück in einen Automaten geworfen und sechzig Dollar gewonnen.«
Er blickte unbeeindruckt.
Ich ging auf die Toilette. Als ich mir vor dem neonbeleuchteten Spiegel über einer Batterie von Waschbecken die Zähne putzte, sagte eine Frau: »Deine Feder gefällt mir«, und deutete auf die an meinem Rucksack.
»Danke«, sagte ich, und unsere Blicke begegneten sich im Spiegel. Sie war blass, hatte braune Augen, eine höckerige Nase und einen langen Zopf, der ihr auf den Rücken hing. Sie trug ein gebatiktes T-Shirt, abgeschnittene Flicken-Jeans und Birkenstock-Sandalen. »Die hat mir mein Freund geschenkt«, nuschelte ich, während mir Zahnpasta aus dem Mund tropfte. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich das letzte Mal mit einer Frau gesprochen hatte.
»Die muss von einem Rabenvogel sein«, sagte sie und befühlte sie vorsichtig. »Entweder von einem Raben oder einer Krähe. Ein Symbol der Leere«, fügte sie in geheimnisvollem Ton hinzu.
»Der Leere?«, fragte ich geknickt.
»Das ist etwas Gutes«, sagte sie. »Der Ort, wo Dinge geboren werden, wo sie beginnen. Denk nur daran, wie ein Schwarzes Loch Energie absorbiert und dann als etwas Neues und Lebendiges wieder freisetzt.« Sie hielt inne und sah mir bedeutungsvoll in die Augen. »Mein Exfreund ist Ornithologe«, erklärte sie in weniger ätherischem Ton. »Sein Forschungsgebiet ist Rabenkunde. Er hat seine Doktorarbeit über Raben geschrieben, und weil ich einen Master
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