Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)
Tierfährten – zickzackförmige Spuren von Kaninchen oder dreieckige Stapfen, die ich Stachelschweinen oder Waschbären zuschrieb. Manchmal war die Luft erfüllt vom Rauschen der Bäume im Wind, dann wieder herrschte die tiefe Stille einer endlosen Schneelandschaft. Alles außer mir war sich seiner selbst offenbar vollkommen gewiss. Der Himmel fragte sich nicht, wo er war.
»HALLO!«, brüllte ich in regelmäßigen Abständen, obwohl ich wusste, dass niemand antworten würde, aber ich musste einfach eine Stimme hören, und wenn es nur meine eigene war. Meine Stimme würde mich beschützen, so glaubte ich, mich davor bewahren, dass ich in dieser verschneiten Wildnis für immer verloren ging.
Beim Wandern drängten sich wieder Liedfetzen in das Hitradio in meinem Kopf, gelegentlich unterbrochen von Pauls Stimme, die mir sagte, wie dumm es von mir gewesen sei, allein durch den Schnee zu wandern. Er würde alles tun, was getan werden musste, falls ich tatsächlich nicht zurückkehren sollte. Trotz unserer Scheidung war er immer noch mein nächster Verwandter oder zumindest der Einzige, der einer solchen Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Ich dachte daran, wie er mich im vergangenen Herbst aus den Fängen des Heroins befreit und anschließend auf der Fahrt von Portland nach Minneapolis zusammengestaucht hatte. »Du hättest sterben können, ist dir das klar?«, hatte er voller Abscheu gesagt, als wünschte er sich halb, ich hätte es getan, nur um zu beweisen, dass er recht hatte. »Jedes Mal, wenn du Heroin nimmst, ist das wie russisch Roulette. Du hältst dir einen Revolver an den Kopf und betätigst den Abzug. Du weißt nie, ob eine Patrone in der Kammer ist.«
Ich hatte nichts zu meiner Verteidigung vorzubringen. Er hatte recht, auch wenn es mir damals nicht so vorkam.
Aber auf einem Weg zu wandern, den ich mir selbst bahnte – und von dem ich hoffte, dass es der PCT war –, war das Gegenteil von Heroinnehmen. Der Abzug, den ich betätigt hatte, als ich mich in den Schnee wagte, brachte mich mehr zur Besinnung als alles andere zuvor. Trotz aller Unsicherheit marschierte ich weiter, und ich hatte dabei ein gutes Gefühl, als hätte allein schon die Tatsache, dass ich es tat, etwas zu bedeuten. Dass ich hier mitten durch die unberührte Wildnis wanderte, bedeutete vielleicht, dass auch ich meine Unschuld wiedererlangen konnte, unabhängig davon, was ich verloren hatte oder was mir genommen worden war, ungeachtet der bedauernswerten Dinge, die ich anderen oder mir selbst angetan hatte, oder der bedauernswerten Dinge, die mir angetan worden waren. Trotz aller Zweifel, die ich hatte – an einem zweifelte ich nicht: Die Wildnis hatte eine Klarheit, die auch mich einschloss.
Traurig und dennoch beschwingt wanderte ich durch die kühle Luft. Der Schnee glitzerte im Sonnenlicht, das durch die Bäume drang, und blendete mich, obwohl ich meine Sonnenbrille aufhatte. So allgegenwärtig der Schnee auch war, ich spürte, dass er schwand, dass er mit jeder Minute weiter schmolz. In seinem Sterben erschien er mir so lebendig wie ein summender Bienenstock. Manchmal vernahm ich ein Gluckern, als fließe unter dem Schnee ein Bach, den ich nicht sehen konnte. Bei anderen Gelegenheiten fiel der Schnee in großen nassen Haufen aus den Bäumen.
Am dritten Tag, nachdem ich in Sierra City losmarschiert war, hockte ich am offenen Eingang meines Zeltes und verarztete die Blasen an meinen Füßen, als mir plötzlich einfiel, dass tags zuvor der vierte Juli gewesen war. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was meine Freunde und viele andere Menschen in den Vereinigten Staaten getan hatten, und das entfernte mich von allem noch mehr. Sie hatten Partys gefeiert und an Festparaden teilgenommen, hatten sich Sonnenbrände geholt und Feuerwerkskörper abgebrannt, während ich hier war, allein in der Kälte. Plötzlich konnte ich mich von weit oben sehen, ein Fleck in einer grünen und weißen Masse, nicht bedeutender oder unbedeutender als einer der namenlosen Vögel in den Bäumen. Hier konnte der vierte Juli oder der zehnte Dezember sein. Diese Berge zählten die Tage nicht.
Am nächsten Morgen stapfte ich stundenlang durch Schnee, bis ich auf eine Lichtung kam, auf der ein großer, umgestürzter Baum lag, ohne Äste und ohne Schnee darauf. Ich nahm den Rucksack ab und kletterte auf den Stamm, dessen Rinde ich rau unter mir spürte. Ich zog ein paar Streifen Trockenfleisch aus dem Rucksack, setzte mich hin, aß und trank dazu Wasser. Nach
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