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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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wir unseren Weg gemeinsam fortsetzen konnten. Ich hörte leise Rufe und entdeckte auf einem Bergrücken jenseits des Talkessels drei Skifahrer, nahe genug, um sie zu hören, aber unmöglich zu erreichen. Sie winkten mir mit rudernden Armen zu, und ich winkte zurück. Sie waren so weit entfernt und so dick in Skikleidung eingemummt, dass ich nicht erkennen konnte, ob es Männer oder Frauen waren.
    »Wo sind wir hier?«, rief ich über das Tal hinweg.
    »Was?«, hörte ich sie nur schwach zurückrufen.
    Ich wiederholte meine Frage immer wieder und wieder, bis ich heiser wurde. Ich glaubte ungefähr zu wissen, wo ich mich befand, aber ich hätte es mir gern von ihnen bestätigen lassen, nur um sicherzugehen. Ich rief und rief, ohne zu ihnen durchzudringen, und so unternahm ich einen letzten Versuch, indem ich alle Kräfte mobilisierte und so laut brüllte, dass ich vor Anstrengung fast vom Berg fiel: »WO SIND WIR HIER?«
    Es folgte eine Pause, die mir verriet, dass sie endlich verstanden hatten, und dann brüllten sie wie mit einer Stimme zurück: »KALIFORNIEN!«
    An der Art, wie sie sich gegenseitig anstießen, merkte ich, dass sie lachten.
    »Danke!«, rief ich sarkastisch, doch meine Stimme wurde vom Wind davongetragen.
    Sie riefen etwas zurück, das ich nicht verstand. Sie wiederholten es noch ein paarmal, aber ich wurde einfach nicht daraus schlau, bis sie schließlich langsam ein Wort nach dem anderen riefen.
    » HABEN«
    »SIE«
    »SICH«
    »VERIRRT?«
    Ich überlegte einen Moment. Wenn ich mit Ja antwortete, würden sie mich retten kommen, und ich wäre mit diesem gottverlassenen Trail fertig.
    »NEIN!«, brüllte ich. Ich hatte mich nicht verirrt.
    Ich hatte mich nur in die Scheiße geritten.
    Ich blickte zu den Bäumen, durch die schräg das schwindende Tageslicht drang. Bald wurde es Abend, und ich musste mir einen Lagerplatz suchen. Ich würde im Schnee mein Zelt aufbauen, im Schnee aufwachen und im Schnee weiterwandern. Dabei hatte ich alles getan, um genau das zu vermeiden.
    Ich ging weiter und fand schließlich einen Platz für mein Zelt, der leidlich gemütlich war, sofern man einen gefrorenen Schneehaufen unter einem Baum als gemütlich bezeichnen kann. Ich fröstelte, als ich, meinen gesamten Kleidervorrat einschließlich Regenzeug am Leib, in den Schlafsack kroch, war aber sonst okay. Die Trinkflaschen drückte ich an mich, damit ihr Inhalt nicht einfror.
    Am Morgen blühten Eisblumen an den Zeltwänden, Kondenswasser meines Atems, das in der Nacht gefroren war. Ich blieb eine Weile still liegen, denn ich wollte noch nicht in den Schnee hinaus, und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Ihre Namen kannte ich nicht, aber ihr Gesang war mir mittlerweile vertraut. Als ich mich aufsetzte und den Reißverschluss am Eingang aufzog, sah ich sie von Baum zu Baum flattern, elegante und schlichte Vögel, die mich überhaupt nicht beachteten.
    Ich holte meinen Topf, löste Sojamilchpulver in Wasser auf und rührte Müslimischung dazu, dann setzte ich mich in den offenen Zelteingang und aß. Als ich fertig war, rieb ich mit einer Hand voll Schnee den Topf aus, stand auf und ließ den Blick über die Landschaft schweifen. Ringsum Felsen und Bäume, die aus eisigem Schnee ragten. Ob ich noch auf dem PCT war? Ich war besorgt und gleichzeitig voller Bewunderung für die Schönheit dieser weiten, unberührten Landschaft. Sollte ich weitergehen oder umkehren?, fragte ich mich, aber tief im Inneren kannte ich die Antwort bereits. Natürlich würde ich weitergehen. Etwas anderes kam gar nicht in Frage. Ich hatte zu schwer gerackert, um so weit zu kommen. Umkehren wäre sinnvoll gewesen. Ich hätte auf demselben Weg nach Sierra City zurückkehren und noch ein Stück weiter nach Norden trampen können, wo kein Schnee lag und wo ich außer Gefahr war. Das wäre vernünftig gewesen. Wahrscheinlich hätte ich das tun sollen. Aber alles in mir sträubte sich dagegen.
    Ich wanderte den ganzen Tag, schleppte mich mühsam dahin, rutschte immer wieder aus, fiel hin und stützte mich so fest auf den Skistock, dass ich Blasen an der Hand bekam. Ich nahm ihn in die andere Hand und bekam auch an der Blasen. Hinter jeder Biegung, hinter jedem Bergkamm, hinter jeder Wiese hoffte ich auf ein Ende des Schnees. Doch er nahm kein Ende, und nur an vereinzelten Stellen lugte ein brauner Fleck aus dem Weiß hervor. Ist das der PCT?, fragte ich mich immer, wenn ich richtige Erde sah. Ich konnte mir nie sicher sein. Nur die Zeit würde es

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