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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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nachdem sie die Scheibe heruntergekurbelt hatte. Ich bedankte mich und stieg hinten ein, war aber tief enttäuscht. Tage zuvor hatte ich in meinem Wanderführer etwas über die Packer Lake Lodge gelesen. Von Sierra City aus hätte ich sie auf einem Nebenpfad an nur einem Tag erreichen können, hatte aber davon abgesehen, nachdem ich beschlossen hatte, auf dem PCT zu bleiben. Während der Fahrt spürte ich förmlich, wie mein Geländegewinn in Richtung Norden wieder zerrann – die vielen Kilometer, die ich unter größter Anstrengung gutgemacht hatte, waren in weniger als einer Stunde wieder dahin –, und trotzdem fühlte ich mich in dem Wagen wie im Himmel. Ich wischte mir ein Guckloch in die beschlagene Scheibe und beobachtete, wie draußen die Bäume vorbeizogen. Wir krochen mit höchstens dreißig Stundenkilometern durch die vielen Kurven, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass wir unfassbar schnell fuhren, was die Landschaft zu etwas Abstraktem machte, das mich nicht mehr einschloss, sondern abseits von mir stand.
    Ich dachte an den Fuchs. Ob er wohl zu dem umgestürzten Baum zurückgekehrt war und sich meiner erinnert hatte? Ich dachte an den Augenblick, als er im Wald verschwunden war und ich nach meiner Mutter gerufen hatte. Nach meinem Gefühlsausbruch hatte tiefe Stille geherrscht, eine Art machtvolle Stille, die alles in sich zu bergen schien. Den Gesang der Vögel und das Ächzen der Bäume. Das Vergehen des Schnees und das Gluckern des unsichtbaren Wassers. Die flimmernde Sonne. Den selbstgewissen Himmel. Den Revolver, in dessen Trommel keine Patrone steckte. Und die Mutter. Immer wieder die Mutter. Die nie mehr zu mir kommen würde.

10 –
Das Gebirge des Lichts
    Der bloße Anblick der Packer Lake Lodge war wie ein Schlag ins Gesicht. Es war ein Restaurant. Und ich hätte ebenso gut ein Hund sein können. Ich roch das Essen, sobald ich aus dem Wagen stieg. Ich bedankte mich bei dem Paar, das mich mitgenommen hatte, ging zu dem kleinen Gebäude, stellte das Monster auf der Veranda ab und trat ein. Das Lokal war voll mit Touristen, hauptsächlich Leuten, die eine der rustikalen Hütten in der Umgebung gemietet hatten. Sie schienen nicht zu bemerken, wie ich beim Gang zur Theke auf ihre Teller starrte – Berge von Pfannkuchen, gebratener Speck, herrlich lockeres Rührei und, am schmerzlichsten von allem, Cheeseburger mit Bergen von Pommes frites. Der Anblick war für mich niederschmetternd.
    »Wissen Sie etwas über die Schneehöhen nördlich von hier?«, fragte ich die Frau an der Kasse. An der Art, wie sie die Bedienung beobachtete, die mit einer Kaffeekanne in der Hand durch das Lokal kurvte, merkte ich, dass sie die Chefin war. Ich war dieser Frau noch nie begegnet, aber ich hatte schon tausendmal für sie gearbeitet. Ich spielte kurz mit dem Gedanken, sie nach einem Job für den Sommer zu fragen und aus dem PCT auszusteigen.
    »Da oben ist alles ziemlich zugeschneit«, antwortete sie. »Dieses Jahr sind alle Hiker vom Trail heruntergekommen. Sie wandern stattdessen am Gold Lake Highway entlang.«
    »Am Gold Lake Highway?«, fragte ich verdutzt. »War in den letzten Tagen ein Mann hier, so um die vierzig? Er heißt Greg. Braunes Haar und Bart.«
    Sie schüttelte den Kopf, aber die Kellnerin klinkte sich ein und sagte, sie habe mit einem PCT-Wanderer gesprochen, auf den die Beschreibung passe. Wie er heiße, wisse sie allerdings nicht.
    »Sie können Platz nehmen, falls Sie etwas essen wollen«, sagte die Frau.
    Auf der Theke lag eine Speisekarte. Aus reiner Neugier schlug ich sie auf. »Haben Sie etwas, was sechzig Cent oder weniger kostet?«, fragte ich in scherzhaftem Ton und so leise, dass meine Stimme kaum den allgemeinen Lärm übertönte.
    »Für fünfundsiebzig Cent bekommen Sie eine Tasse Kaffee«, antwortete sie. »Nachschenken kostenlos.«
    »Eigentlich habe ich mein Mittagessen im Rucksack«, sagte ich und ging zur Tür, vorbei an beiseitegeschobenen Tellern, auf denen sich noch absolut genießbare Speisereste türmten, die niemand außer mir und den Bären zu essen bereit gewesen wäre. Ich trat hinaus auf die Veranda, setzte mich neben das Monster, zog die sechzig Cent aus der Tasche und betrachtete die silbernen Geldstücke in meiner Hand, als könnten sie sich vermehren, wenn ich sie nur fest genug anstarrte. Ich dachte an das Paket mit dem Zwanzigdollarschein darin, das mich in Belden Town erwartete. Ich hatte Hunger, und ja, ich hatte in meinem Rucksack etwas zu essen, aber ich

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