Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
Vom Netzwerk:
war zu deprimiert zum Essen. Stattdessen blätterte ich in meinem Wanderführer und versuchte, einen neuen Plan zu schmieden.
    »Ich habe zufällig gehört, wie Sie drinnen vom Pacific Crest Trail gesprochen haben«, sprach mich eine Frau an. Sie war mittleren Alters und schlank, das mattblonde Haar modisch kurz geschnitten. An jedem Ohr funkelte ein Diamantstecker.
    »Ich wandere für ein paar Monate auf dem Trail«, sagte ich.
    »Das muss toll sein.« Sie lächelte. »Ich habe mich immer gefragt, was das wohl für Leute sind, die so etwas machen. Ich weiß, dass der Trail da oben ist.« Sie deutete nach Westen. »Aber ich war noch nie da.« Sie trat näher, und im ersten Augenblick dachte ich, sie wollte mich umarmen, aber sie tätschelte nur meinen Arm. »Sie sind doch nicht etwa allein unterwegs, oder?« Als ich nickte, lachte sie und legte sich eine Hand auf die Brust. »Und was um alles in der Welt sagt Ihre Mutter dazu?«
    »Sie ist tot«, sagte ich, zu verzagt und zu hungrig, um die Antwort mit einer entschuldigenden Bemerkung abzuschwächen, wie ich es sonst meistens tat.
    »Du meine Güte, das ist ja schrecklich.« Sie fasste nach der Sonnenbrille, die sie an einer Kette aus glitzernden Pastellperlen um den Hals trug, und setzte sie auf. Sie heiße Christine und bewohne mit ihrem Mann und ihren beiden halbwüchsigen Töchtern eine Hütte in der Nähe, erzählte sie mir. »Möchten Sie mitkommen und bei uns duschen?«, fragte sie.
    Christines Mann, Jeff, machte mir ein Sandwich, während ich duschte. Als ich aus dem Badezimmer kam, lag es auf einem Teller, diagonal durchgeschnitten und mit Tortillachips aus blauem Mais und einer Essiggurke garniert.
    »Wenn Sie mehr Fleisch drauf haben wollen, tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Jeff und schob eine Platte mit kaltem Truthahnbraten über den Tisch. Er war ein gut aussehender, rundlicher Mann mit dunklem, welligem Haar, das an den Schläfen ergraute. Von Beruf Rechtsanwalt, wie mir Christine auf dem kurzen Weg vom Restaurant zur Hütte erzählt hatte. Sie lebten in San Francisco, aber die erste Juliwoche verbrachten sie jedes Jahr hier.
    »Vielleicht noch ein paar Scheiben, danke«, sagte ich und langte mit gespielter Unbekümmertheit nach dem Truthahn.
    »Das ist bio, falls Sie darauf Wert legen«, sagte Christine. »Und aus artgerechter Haltung. Daran halten wir uns, wenn es irgend geht. Du hast den Käse vergessen«, schalt sie Jeff und eilte zum Kühlschrank. »Möchten Sie Havarti mit Dill auf Ihr Sandwich, Cheryl?«
    »Ist nicht nötig, danke«, sagte ich höflichkeitshalber. Sie schnitt trotzdem eine Scheibe herunter und brachte sie mir, und ich verputzte sie so schnell, dass sie wortlos zur Anrichte zurückging und mir noch mehr herunterschnitt. Sie griff in die Tüte mit den Chips und lud mir noch eine Hand voll auf den Teller, dann knackte sie die Dose Rootbeer und stellte sie vor mich hin. Sie hätte den Kühlschrank komplett ausräumen können, ich hätte alles verputzt. »Danke«, sagte ich jedes Mal, wenn sie wieder etwas auffuhr.
    Durch die Glasschiebetür am anderen Ende der Küche konnte ich ihre Töchter draußen auf der Veranda sehen. Sie saßen in Adirondack-Stühlen und blätterten, Kopfhörer im Ohr, in Seventeen und People.
    »Wie alt sind sie?«, fragte ich und nickte in die Richtung der beiden.
    »Sechzehn und knapp achtzehn«, antwortete Christine. »Sie gehen in die zehnte und zwölfte Klasse.«
    Sie spürten, dass wir sie ansahen, und schauten auf. Ich winkte, und sie winkten schüchtern zurück, bevor sie wieder in ihre Zeitschriften schauten.
    »Es würde mir gefallen, wenn sie so etwas machen würden wie Sie«, sagte Christine. »Wenn sie so mutig und stark wären wie Sie. Aber so mutig dann vielleicht auch wieder nicht. Ich glaube, ich hätte Angst, wenn eine von ihnen da draußen wäre. Haben Sie denn keine Angst, so ganz allein?«
    »Manchmal«, antwortete ich. »Aber nicht so sehr, wie man meinen könnte.« Wasser tropfte aus meinen nassen Haaren auf mein schmutziges T-Shirt. Mir war bewusst, dass meine Kleider stanken, aber darunter fühlte ich mich so sauber wie noch nie. Die Dusche war wie eine übersinnliche Erfahrung gewesen, nachdem ich tagelang in der Kälte unter meinen Kleidern geschwitzt hatte. Das heiße Wasser und die Seife hatten mich rein gewaschen.Ich bemerkte ein paar Bücher, die verstreut am anderen Ende des Tischs lagen – Die Maßnahme von Norman Rush, Tausend Morgen von Jane Smiley und Schiffsmeldungen

Weitere Kostenlose Bücher