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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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Belden ankam, hatte ich Fußblessuren ganz neuer Art: An den Zehenspitzen hatten sich Blasen gebildet. Bei jedem Schritt waren die Füße nach vorn gerutscht und hatten von innen gegen den Schuh gedrückt. Eigentlich hatte ich erwartet, einen gemütlichen Tag zu verleben, und dann schleppte ich mich qualvoll humpelnd nach Belden Town, das, wie sich herausstellte, gar keine Stadt war. Es war ein großes, verwinkeltes Haus neben einer Bahnlinie, das eine Bar und einen kleinen Laden beherbergte, der auch als Postamt, Waschsalon und öffentliche Duschanstalt diente. Ich zog auf der Veranda vor dem Laden meine Stiefel aus, schlüpfte in meine Lagersandalen, humpelte hinein und holte mein Paket ab. Beim Anblick des Umschlags mit den zwanzig Dollar war ich so erleichtert, dass ich meine Zehen für eine Minute vergaß. Ich kaufte mir zwei Flaschen Snapple-Limonade, kehrte auf die Veranda zurück und trank sie, eine nach der anderen.
    »Cooles T-Shirt«, sprach mich eine Frau an. Sie hatte lockiges, graues Haar und führte einen großen weißen Hund an der Leine. »Das ist Odin.« Sie bückte sich und kraulte ihm den Nacken, dann richtete sie sich wieder auf, rückte die kleine runde Brille auf ihrer Nase wieder zurecht und musterte mich neugierig. »Wanderst du zufällig auf dem PCT?«
    Ihr Name war Trina. Sie war vierundfünfzig, unterrichtete Englisch an der Highschool und stammte aus Colorado, wo sie erst vor wenigen Tagen in den PCT eingestiegen war. Sie war von Belden Town aus nach Norden gewandert, wegen des vielen Schnees aber wieder umgekehrt. Was sie berichtete, deprimierte mich. Sollte ich dem Schnee denn nie entrinnen? Während wir uns unterhielten, stieß eine weitere Wanderin zu uns – eine Frau namens Stacy, die am Vortag begonnen hatte und auf derselben Strecke zu den Three Lakes gewandert war wie ich.
    Endlich traf ich mal Frauen auf dem Trail! Wir machten uns rasch miteinander bekannt. Trina war eine begeisterte Wochenend-Backpackerin, Stacy eine erfahrene Trekkerin, die im letzten Jahr mit einer Freundin auf dem PCT von Mexiko bis Belden Town gewandert war. Stacy und ich unterhielten uns über die Orte am Trail, durch die wir beide gekommen waren, über Ed in Kennedy Meadows, den sie im Sommer zuvor kennengelernt hatte, und über ihr Leben in einer südkalifornischen Wüstenstadt, wo sie im väterlichen Unternehmen als Buchhalterin arbeitete. Sie war dreißig Jahre alt und hübsch, hatte einen blassen Teint und schwarze Haare und stammte aus einer großen irischen Familie.
    »Lasst uns heute Nacht zusammen kampieren und überlegen, wie es weitergeht«, schlug Trina vor. »Da drüben auf der Wiese ist ein guter Platz.« Sie deutete auf eine Stelle, die vom Laden aus zu sehen war. Wir gingen hin und bauten unsere Zelte auf. Ich packte mein Paket aus, während sich Trina und Stacy im Gras unterhielten. Wellen des Wohlbehagens durchströmten mich, als ich einen Gegenstand nach dem anderen in die Hand nahm und mir automatisch an die Nase hielt. Die ladenneuen Packungen mit Lipton-Nudeln oder mit Trockenbohnen und Reis, die mein tägliches Abendessen bildeten, die noch glänzenden Energieriegel und die makellosen Ziplock-Tüten mit Dörrobst und Nüssen. All diese Sachen hingen mir eigentlich zum Hals heraus, aber sie so frisch und unangetastet zu sehen, versöhnte mich wieder etwas mit ihnen. Außerdem enthielt das Paket ein sauberes T-Shirt, das ich jetzt, wo ich das Bob-Marley-Shirt hatte, nicht mehr brauchte, zwei nagelneue Paar Wollsocken und den Roman Der Sommervogel von Margaret Drabble, für den ich noch nicht ganz bereit war – ich hatte Dresden, Pennsylvania erst zur Hälfte gelesen und die Seiten am Morgen in Pacos Feuer geworfen. Und, ganz wichtig, einen frischen Vorrat Gelpads.
    Ich setzte mich hin, zog meine Stiefel aus und verarztete meine ramponierten Füße. Als Trinas Hund losbellte, schaute ich auf und erblickte einen jungen Mann, blond, blauäugig und schlaksig. An seinem schleppenden Gang erkannte ich sofort, dass er PCT-Hiker war. Sein Name war Brent, und nachdem er sich vorgestellt hatte, begrüßte ich ihn wie einen alten Freund, obwohl ich ihm noch nie begegnet war. In Kennedy Meadows hatte ich einige Geschichten über ihn gehört. Wie ich von Greg, Albert und Matt wusste, war er in einer Kleinstadt in Montana aufgewachsen. Einmal war er in einer südkalifornischen Stadt unweit des Trails in einen Feinkostladen geschlappt, hatte ein Sandwich mit zwei Pfund Roastbeef bestellt und mit

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