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Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition)

Titel: Der große Trip: Tausend Meilen durch die Wildnis zu mir selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cheryl Strayed
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ganzen restlichen Nachmittag dachte ich an Hawaiian Screwdriver. Ich wusste nicht genau, woraus dieser Cocktail bestand, aber der Name klang für mich nicht viel anders als Snapple-Limonade. Oben angekommen, sah ich, dass die Männer mit dem roten Pick-up am westlichsten der drei Seen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Der PCT verlief gleich dahinter. Ich folgte einem Trampelpfad, der am östlichen Seeufer entlangführte, und fand einen abgeschiedenen Platz zwischen den Felsblöcken, die vereinzelt den See umgaben. Ich baute das Zelt auf, schlüpfte in den Wald, drückte den Schwamm aus und setzte ihn wieder ein. Dann ging ich zum See, wusch mir Hände und Gesicht, filterte Wasser. Ich spielte mit dem Gedanken, ein Bad zu nehmen, aber das Wasser war eiskalt, und in der Gebirgsluft fror ich ohnehin schon. Vor Beginn der Wanderung hatte ich mir vorgestellt, dass ich unzählige Male in Seen, Flüssen und Bächen baden würde, tatsächlich aber ging ich nur selten ins Wasser. Abends war ich oft fix und fertig und zitterte, als hätte ich Fieber, aber das lag nur an der Erschöpfung und der Verdunstungskühle meines Schweißes. Meistens spritzte ich mir nur Wasser ins Gesicht, zog die nass geschwitzten Wandersachen aus und schlüpfte in den warmen Fleece-Anorak und die Leggins.
    Ich zog meine Stiefel aus, befreite meine Füße von den Gelpads und hielt sie in das eisige Wasser. Als ich sie abtrocknete, hielt ich plötzlich wieder einen blauen Zehennagel in der Hand, den zweiten, den ich bisher verloren hatte. Der See war ruhig und klar, umsäumt von hoch aufragenden Bäumen und grünen Büschen zwischen den Felsen. Ich entdeckte eine grüne Eidechse im Schlamm. Sie verharrte eine Weile reglos auf der Stelle, dann huschte sie pfeilschnell davon. Das Lager der Männer lag nicht weit von mir entfernt am Seeufer, aber sie hatten mich noch nicht bemerkt. Bevor ich sie besuchte, putzte ich mir die Zähne, trug Lippenbalsam auf und zog mir einen Kamm durchs Haar.
    »Da kommt sie ja«, rief der Mann, der auf dem Beifahrersitz gesessen hatte, als ich angeschlendert kam. »Und gerade richtig.«
    Er reichte mir einen roten Plastikbecher mit einem gelben Getränk – Hawaiian Screwdriver, wie ich vermutete. Eiswürfel. Wodka. Und Ananassaft. Als ich daran nippte, dachte ich, mir schwinden die Sinne. Nicht wegen des Alkohols, sondern weil die Kombination von Zucker und Schnaps einfach traumhaft schmeckte.
    Die beiden Weißen waren Feuerwehrmänner. Der Latino war begeisterter Hobbymaler und Zimmermann von Beruf. Er hieß Francisco, aber alle nannten ihn Paco. Er war der Cousin eines der Weißen und aus Mexico City zu Besuch, obwohl alle drei im selben Viertel in Sacramento aufgewachsen waren, in dem die Feuerwehrmänner nach wie vor lebten. Paco war vor zehn Jahren nach Mexiko gereist, um seine Urgroßmutter zu besuchen, hatte sich während des Aufenthalts in eine Mexikanerin verliebt und war geblieben. Wir saßen um eine Feuerstelle, neben der die Männer Brennholz für ein späteres Feuer aufgeschichtet hatten. Derweil spielten die Söhne der Feuerwehrleute Krieg, flitzten um uns herum, schrien und produzierten explosionsartige Geräusche, wenn sie mit ihren Plastikgewehren hinter Felsblöcken hervor aufeinander schossen.
    »Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen!«, riefen die Feuerwehrmänner abwechselnd, als ich ihnen erklärte, was ich tat, und ihnen meine geschundenen Füße mit den acht verbliebenen Zehennägeln zeigte. Sie schüttelten verwundert den Kopf, stellten mir eine Frage nach der anderen und drängten mir noch einen Hawaiian Screwdriver mit Tortilla-Chips auf.
    »Die Frauen sind es, die Mumm haben«, sagte Paco, der eine Schüssel Guacamole zubereitete. »Wir Männer bilden uns ein, wir wären es, aber das ist ein Irrtum.« Er hatte sich die langen Haare mit gewöhnlichen Gummibändern zu einem dicken Pferdeschwanz zusammengebunden, der ihm wie eine mehrgliedrige Schlange auf den Rücken fiel. Als das Feuer brannte und die Forelle, die einer von ihnen im See gefangen hatte, und das Hirschragout von einem Tier, das einer von ihnen im Winter erlegt hatte, gegessen waren, saßen nur noch Paco und ich am Lagerfeuer, während die anderen Männer ihren Söhnen im Zelt vorlasen.
    »Möchten Sie einen Joint mit mir rauchen?«, fragte er und zog einen aus der Hemdtasche. Er zündete ihn an, nahm einen Zug und reichte ihn mir. »Das ist also die Sierra!«, sagte er und blickte auf den dunklen See hinaus. »In meiner Jugend habe

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